Gesundheitswesen 2014; 76 - A64
DOI: 10.1055/s-0034-1386914

Ständige Erreichbarkeit als Chance? Gesundheitsförderung 2.0 im Gastgewerbe

K Guhlemann 1, A Georg 1, O Katenkamp 1, F Krüger 1
  • 1Sozialforschungsstelle Dortmund/TU Dortmund, Dortmund

Hintergrund: Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben durch gesellschaftliche Entwicklungen wie Entgrenzung, Flexibilisierung etc. sowie die technischen Entwicklungen im Medien- und Kommunikationsbereich wird vielfach mit steigenden psychischen Belastungen in Verbindung gebracht. Als besonders betroffen von ständiger Erreichbarkeit gelten Beschäftigte des Wissens- und Dienstleistungssektors, Führungskräfte, Vertreter (Außendienst) und Beschäftigte mit ortsunabhängigen Bildschirm- bzw. Bürotätigkeiten [1]. Obgleich weitgehend frei von ortsunabhängigen Tätigkeiten, ist das Gastgewerbe durch die Nachfragegebundenheit und Unvorhersehbarkeit des Arbeitsanfalls von jeher von Ansprüchen an eine ständige Verfügbarkeit der Beschäftigten geprägt. Kurzfristige Dienstplanänderungen, schlecht planbare Arbeitszeiten mit unvorhersehbarem Dienstende oder Dienste auf Abruf sind die arbeitsseitigen Auswirkungen der starken Nachfragegebundenheit dieser Branche. Der Beitrag zeigt, wie sich die Dominanz digitaler Medien in Alltag und Beruf unter solchen Voraussetzungen auswirkt und welches Potenzial für Prävention und Gesundheitsförderung dieser Entwicklung innewohnt.

Daten: Grundlage der Untersuchung sind Daten einer deutschlandweiten Befragung unter 660 Auszubildenden im Gastgewerbe zu den zeitlichen, organisatorischen und psychosozialen Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit, psychischer und physischer Gesundheit, zum Mediennutzungs-, Kommunikations- und Freizeitverhalten. Mittels logistischer Regression wurden die Auswirkungen der Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit und Arbeitszufriedenheit und die des Mediennutzungsverhaltens auf die Zufriedenheit mit dem Sozialleben untersucht. Darüber hinaus wird auf narrative Interviews mit Beschäftigten im Gastgewerbe zurückgegriffen, die in Forschungswerkstätten sequenzanalytisch ausgewertet wurden.

Ergebnisse: Da die Arbeit weitgehend durch das Uno-Actu-Prinzip bestimmt ist, ergeben sich in der untersuchten Gruppe keine Freizeiteinschränkungen durch die Möglichkeit lokal entgrenzter Tätigkeiten. Dennoch finden sich Einschränkungen im Freizeitbereich: 15% der Auszubildenden werden oft/immer telefonisch an freien Tagen zum Arbeiten einberufen, 30% haben sich kurzfristig verändernde Arbeitszeiten und bei der knappen Hälfte schwankt die tägliche Arbeitszeit oft/immer mit der Auftragslage. Obwohl die schlecht planbaren Arbeitszeiten die Freizeitgestaltung der Auszubildenden in erheblichem Maße einschränken, ist durch die virtuellen Sozialräume des Internets ein Bereich der Freizeitgestaltung entstanden, der von den ungünstigen zeitlichen Bedingungen nur marginal beeinträchtigt wird. Zum einen ist dieser Teil des Soziallebens weniger zeitgebunden, und zum anderen können über Smartphones soziale Netzwerke o.ä. auch in ruhigen Phasen der Arbeitszeit besucht werden. Die ständige Erreichbarkeit führt daher zwar zu einem Eindringen des Privaten ins Berufliche, nicht aber zu einer vollständigen Durchmischung.

Digitale Medien werden von den Auszubildenden auch für arbeits- und gesundheitsbezogene Informationssuche genutzt. So existieren z.B. in web2.0-Anwendungen ehrenamtliche Beratungsangebote von erfahreneren Fachkräften für Berufsanfänger.

Schlussfolgerung/Ausblick: Die Chancen der ständigen Erreichbarkeit können im untersuchten Bereich in der kompensatorischen Möglichkeit der arbeitszeitbedingten Freizeiteinschränkungen durch soziale Medien und der Nutzbarkeit digitaler Anwendungen für Zwecke der Prävention und Gesundheitsförderung gesehen werden. Im BMBF geförderten Projekt INDIGHO wurde ein Konzept zur Erhöhung der Gesundheitskompetenz von Auszubildenden im Gastgewerbe entwickelt, das sowohl über Lernortkooperationen als auch über web2.0-Anwendungen umgesetzt wird. Dieses umfasst die Vermittlung von Basiswissen zur Gesundheit mit Vertiefungen zur berufsbezogenen Gesundheit, Hilfen bei Konflikten und deren Bewältigung und Unterstützungsangebote für beruflichen Erfolg. Die zeitlich entkoppelte bedarfsgeprägte Informationssuche, die das Nutzungsverhalten im Netz prägt, wird hier als Chance verstanden, an etablierte Formate anzuknüpfen und die Inhalte dort unterzubringen, wo sich die Zielgruppe aufhält.