Gesundheitswesen 2014; 76 - A44
DOI: 10.1055/s-0034-1386894

Schwanger ohne Krankenversicherung – Qualitative Interviews zur Inanspruchnahme medizinischer Beratungsstellen von Bulgarinnen und Rumäninnen in Mainz

C Everts 1, S Letzel 1, U Zier 1
  • 1Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz

Einleitung: Mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union und der damit einhergehenden Personenfreizügigkeit migrieren vermehrt Menschen aus diesen Ländern nach Deutschland. Unter ihnen finden sich auch Migranten, die im Krankheitsfall keine ausreichende Absicherung durch ihr Herkunftsland besitzen und Schwierigkeiten haben, eine deutsche Krankenversicherung zu erlangen. Eine Schwangerschaft kann unter diesen Bedingungen mit medizinischen Risiken und hohen finanziellen Belastungen einhergehen. Qualitative Interviews mit betroffenen Frauen ermöglichen unter anderem einen Einblick, wie die Zielgruppe von Beratungsangeboten erfährt und wann diese in Anspruch genommen werden.

Methodik: Mit qualitativen Leitfadeninterviews und Kurzfragebogen wurden sozialmedizinische Aspekte und die Versorgungssituation während der Schwangerschaft eruiert. Die Zielgruppe waren Frauen aus Rumänien und Bulgarien, die zum Interviewzeitpunkt oder während der letzten 24 Monate schwanger waren und aufgrund eines nicht ausreichenden Krankenversicherungsschutzes medizinische Beratungsstellen in Mainz aufsuchten. Die Kontaktaufnahme gelang über die Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen „Sozialdienst Katholischer Frauen“ und „Medinetz Mainz e.V.“. Die Interviews fanden begleitet von einer Übersetzerin entweder in Räumlichkeiten der Caritas oder bei der Interviewpartnerin zu Hause statt. Der Leitfaden beinhaltete die Themengebiete Betreuung und Probleme in der Schwangerschaft, Erfahrungen mit dem deutschen Gesundheitssystem und Vergleich zu dem Gesundheitssystem im Herkunftsland sowie soziale Rahmenbedingungen wie Wohnen und Arbeiten. Der Kurzfragebogen umfasste biografische Daten. Die Interviews werden hermeneutisch ausgewertet.

Ergebnisse: Zwischen Oktober 2013 und Januar 2014 wurden acht Frauen aus Bulgarien interviewt. Die Interviews dauerten zwischen 60 und 90 Minuten. Frauen aus Rumänien waren in diesem Zeitraum in den Beratungsstellen nicht anzutreffen. Alle Frauen wurden durch Mitarbeiter von Medinetz Mainz e.V. kontaktiert. Erste Überblicksauswertungen wurden abgeschlossen. Sieben Frauen gaben als Muttersprache türkisch an. Alle Frauen berichteten, über hiesige Freunde/Bekannte aus ihrem Heimatland von Medinetz erfahren zu haben. Fünf Frauen hatten vor der aktuellen Schwangerschaft bereits Kinder bekommen, eine davon in Deutschland. Die meisten Frauen traten erst aufgrund ihrer Schwangerschaft mit Medinetz in Kontakt. Zumeist suchten die Frauen bereits in den ersten vier Monaten der Schwangerschaft dort Hilfe. In einem Fall entstand der Kontakt erst nach einer vorangegangenen Fehlgeburt. Grund war vermutlich ein nicht behandelter Harnwegsinfekt. Für alle Frauen konnten Termine für kostenlose Vorsorgeuntersuchungen organisiert werden, die von ihnen aktiv wahrgenommen wurden. Detailliertere Auswertungen werden auf der Tagung vorgestellt.

Diskussion: Fast alle Frauen gehörten der türkischsprachigen Minderheit in Bulgarien an. Der Zeitpunkt der Kontaktaufnahme zu Medinetz war bei den Schwangeren unterschiedlich, aber zumeist früh in der Schwangerschaft. Wenige kamen erst bei möglicherweise vermeidbaren Komplikationen. Alle Frauen nahmen die Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch. Von der Anlaufstelle erfuhren alle Schwangeren über Landsleute, sodass Kontakte in die Gruppe der Bulgaren hinein für das Erreichen der Betroffenen essenziell waren. Warum keine Rumäninnen bei den Beratungsstellen anzutreffen waren, ist unklar. Mögliche Erklärungen können sein, dass sich wenige ohne Krankenversicherung in Mainz aufhalten oder dass in dieser Gruppe das Wissen um die Hilfsmöglichkeiten fehlt. Die Interviews zeigen, dass es eine Versorgungslücke gibt, die zu dramatischer Unterversorgung führen kann. Zugleich wird deutlich, dass es Frauen gibt, die medizinische Hilfe suchen und annehmen. Besonders wichtig ist die Aufrechterhaltung und Ausweitung von Kontakten in die Risikogruppen hinein, um die Existenz von Hilfsangeboten bekannt zu machen.