Gesundheitswesen 2014; 76 - A40
DOI: 10.1055/s-0034-1386890

Sozioökonomischer Status und Gesundheit bei älteren Menschen mit HIV/AIDS in Deutschland. Ergebnisse der Studie 50plushiv

J Drewes 1, M Kruspe 1, J Ebert 1
  • 1Freie Universität Berlin

Hintergrund: Dank verbesserter Behandlungsmöglichkeiten der HIV-Infektion durch antiretrovirale Kombinationstherapien ist die Lebenserwartung von HIV-positiven Menschen in den letzten Jahren stark gestiegen. Heute haben bereits ungefähr ein Drittel der Menschen mit HIV/AIDS in Deutschland das 50. Lebensjahr erreicht oder überschritten. Studien zeigen, dass der sozioökonomische Status (SES) von Menschen stark mit ihrem gesundheitlichen Zustand zusammenhängt. Allerdings nimmt diese gesundheitliche Ungleichheit mit steigendem Alter ab und nur wenige Studien liegen dazu vor, inwieweit der SES auch mit dem Gesundheitszustand von bereits chronisch Erkrankten korreliert. Anhand einer Stichprobe von älteren Menschen mit HIV/AIDS soll der Einfluss des SES auf diverse Parameter des Gesundheitszustands und -verhaltens in dieser Population untersucht werden.

Methoden: Im Rahmen der deutschlandweiten Studie 50plushiv wurde ein umfangreicher Fragebogen zu den Lebensumständen, dem Gesundheitszustand und dem Gesundheitsverhalten entworfen. Im Winter 2013/14 beantworteten 907 ältere Menschen mit HIV/AIDS, die u.a. über HIV-Schwerpunktpraxen, Aidshilfen, Print- und Onlinepublikationen rekrutiert wurden, diesen Fragebogen in einer Online- oder einer Papierversion. Die Teilnehmer dieser ad hoc-Stichprobe waren mehrheitlich männlich (84%), der überwiegende Transmissionsweg, der zur HIV-Infektion führte, war homosexueller Geschlechtsverkehr (75%). Der SES wurde analog zum Vorgehen in der Studie Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) mehrdimensional anhand des schulischen und beruflichen Bildungsstatus, des beruflichen Status und des Äquivalenz-Haushaltsnettoeinkommens erfasst, so dass eine dreistufige Klassifikation der Teilnehmer in einen niedrigen, mittleren und hohen SES vorgenommen werden konnte. Zusammenhänge zwischen Parametern des Gesundheitszustands/-verhaltens und dem SES wurden mit Chi2-Tests und ANOVAs analysiert.

Ergebnisse: Verglichen mit den für die Allgemeinbevölkerung repräsentativen Daten der DEGS1-Studie weisen die Teilnehmer der 50plushiv-Studie durchschnittlich einen höheren SES auf, fast doppelt so viele Teilnehmer als in DEGS1 gehören hier der Kategorie „hoher SES“ an. Zusammenhänge mit dem SES existieren sowohl für HIV-spezifische Parameter als auch für Parameter des allgemeinen Gesundheitszustands und des Gesundheitsverhaltens. Teilnehmer mit einem niedrigen SES berichten eine geringere CD4-Zahl und eine höhere Viruslast. Ihr Risiko für somatische und psychiatrische Komorbiditäten und Stürze ist erhöht, und sie haben eine geringere gesundheitsbezogene Lebensqualität und Lebenszufriedenheit. Außerdem rauchen Teilnehmer mit einem niedrigen SES häufiger und nehmen seltener Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und Impfungen in Anspruch.

Diskussion: Obwohl die vorliegende Stichprobe älterer Menschen mit HIV/AIDS einen Selbstselektionsbias hinsichtlich des SES aufweist, finden sich zahlreiche Zusammenhänge zwischen dem SES und dem Gesundheitszustand und dem Gesundheitsverhalten der Teilnehmer. Diese Ergebnisse zeigen, dass ungleiche Lebensverhältnisse auch im höheren Lebensalter und bei Vorliegen einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung stark mit gesundheitlichen Risiken und Chancen verbunden sind. Sozial Benachteiligte sind auf diese Weise doppelt von der gesundheitlichen Ungleichheit betroffen. Nicht nur ist ihr Risiko für eine Erkrankung wie HIV/AIDS erhöht, sondern auch ihre Lebensqualität und ihr allgemeiner Gesundheitszustand sind durch diese Erkrankung stärker eingeschränkt.