Gesundheitswesen 2014; 76 - A30
DOI: 10.1055/s-0034-1386880

Klassifikation der Personbezogenen Faktoren der ICF: Die Vertreibung aus dem „Paradies der Unwissenheit und Intransparenz“?

W Cibis 1
  • 1Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitaiton (BAR) e.V., Frankfurt

Hintergrund: Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) hat die Personbezogenen Faktoren wegen der weltweit großen soziokulturellen Unterschiede nicht klassifiziert, sie sind aber Einflussgröße der Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF. Der Entwurf der ICF-Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) 2010 für eine Liste personbezogener Faktoren der ICF für den deutschen Sprachraum hat zu diskutierende Widersprüche ausgelöst.

Methodik: Die der Arbeitsgruppe der DGSMP bekannt gewordenen kritischen Ansätze wurden in Expertengesprächen analysiert und Literatur ausgewertet.

Ergebnisse: Der „nationale Alleingang“ ist dem Umstand geschuldet, dass wegen der weltweit großen soziokulturellen Unterschiede die Personbezogenen Faktoren nicht klassifiziert wurden. In der Umkehrung dieser Aussage sollte es vielleicht möglich sein, innerhalb eines Kulturkreises die Klassifizierung doch sinnvoll zu gestalten. Als Widerspruch zu den taxonomischen Prinzipien werden doppelte Zuordnungsmöglichkeiten für gleiche Begriffe angeführt. Die Argumente richten sich aber nicht gegen die Inhalte. Hier besteht ggf. Entwicklungsbedarf. Dem Anwender wird von der ICF gestattet, für eigene Zwecke Anpassungen vorzunehmen, z.B. die Aktivitäten und Partizipation getrennt zu kodieren. Zu den Personbezogenen Faktoren wird ausgeführt: „Sie sind gegenwärtig in der ICF nicht klassifiziert, Benutzer können sie jedoch bei der Anwendung der ICF berücksichtigen“. Dass viele Aspekte nur abgeschätzt werden können, sollte kein grundsätzliches Problem ihrer Erhebung darstellen. Bei der „Feststellung“ von Schmerzen und anderen individuellen Ausprägungen wird dies auch akzeptiert. Risiken und Nebenwirkungen der ICF sind vorhanden. Mit der ICF werden aber nicht Menschen klassifiziert, sondern ihre Behinderungen bzw. Gesundheits- und mit der Gesundheit zusammenhängende Zustände.

Bedeutung, Gültigkeit und Beständigkeit aller erhobenen Daten sind nicht nur zu späteren Zeitpunkten sachgerecht zu hinterfragen, sondern auch jeweils aktuell bei anderen Fragestellungen. Bei dem Ansatz der ICF-AG der DGSMP spielt die „Normalität“ nur insofern eine Rolle, als nur die Eigenschaften und Aspekte in diesen Bereich gehören, die nicht Ausdruck einer Erkrankung sind.

Fazit: Personbezogene Faktoren spielen für die Rehabilitation eine wichtige Rolle und beeinflussen die Festlegung der Inhalte von „Reha-Bedarf, Reha-Bedürftigkeit, Reha-Fähigkeit, Reha-Motivation und Reha-Erfolgsprognose. Die vorgeschlagene Systematik und die Begrifflichkeiten bieten eine Chance, „Licht in das Dunkel“ der Personbezogenen Faktoren zu bringen. Fehlende Systematik und Begrifflichkeit können zu Sprachlosigkeit, Tabuisierung und Missverständnissen führen, die dem Betroffenen schaden und eher der unberechtigten Stärkung der Position der Entscheidungsträger dienen. Das „Paradies der Unwissenheit und Intransparenz“ ist verlassen. Ein systematischer Denkansatz fördert Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Plausibilität für alle Beteiligten. Die Verpflichtung der Beschränkung dabei auf das Notwendige, Erforderliche und Ausreichende und nur mit Einverständnis des Betroffenen Erlaubte ist dabei selbstverständlich. Es besteht Bedarf, die Klassifikation weiterzuentwickeln.