Gesundheitswesen 2014; 76 - A14
DOI: 10.1055/s-0034-1386864

„Das ist jetzt das kleinere Übel…“ – die Sichtweise von Patienten zu medikamentenbezogener Adhärenz bei rheumatoider Arthritis

S Brandstetter 1, S Hertig 1, B Ehrenstein 2, J Loss 3, C Apfelbacher 1
  • 1Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Universität Regensburg, Regensburg
  • 2Klinik und Poliklinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie, Asklepios Klinikum, Bad Abbach
  • 3Institut für Epidemiologie u, Regensburg

Einleitung: Eine geringe Adhärenz (Therapietreue) in Bezug auf die verordnete Medikation stellt ein allgegenwärtiges Problem in der Versorgung chronischer Erkrankungen dar. Das gilt auch für die Adhärenz von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA). Um effektive Maßnahmen zur Verbesserung der Adhärenz bei der RA entwickeln zu können, ist ein besseres Verständnis der Faktoren nötig, die sich positiv oder negativ auf die Adhärenz auswirken. Ziel der vorliegenden Studie war es, unter Anwendung eines qualitativen Designs Bedingungsfaktoren für Adhärenz bzw Non-Adhärenz in Bezug auf die verordnete Medikation aus der Perspektive von Patienten mit RA zu explorieren.

Methodik: 18 Patienten (10 weiblich) mit ärztlich diagnostizierter RA nahmen an der Studie teil: Das Alter reichte von 37 bis 88 Jahre (Durchschnitt: 61 Jahre), die mittlere Krankheitsdauer betrug 9 Jahre. Die Stichprobe wurde zielgerichtet so gezogen, dass sowohl adhärente als auch nicht adhärente Patienten vertreten waren. Als Kriterium für Adhärenz galt der auf der „Medication Adherence Report Scale“ (MARS [1]) erreichte Wert. In leitfadengestützten qualitativen Interviews wurden die Erfahrungen und Sichtweisen der Patienten im Umgang mit ihrer Medikation sowie mögliche Gründe für adhärentes bzw. non-adhärentes Verhalten exploriert. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet, wörtlich transkribiert und computergestützt inhaltsanalytisch ausgewertet. Dabei wurden in einem ersten Schritt von zwei Wissenschaftlern unabhängig voneinander die zentralen Themen identifiziert, in einem zweiten Schritt wurde die Zusammenschau der aufgefundenen Themen vorgenommen und ein Kategoriensystem entwickelt.

Ergebnisse: Adhärentes bzw. non-adhärentes Verhalten gestaltet sich aus der Perspektive der Patienten weniger als Dichotomie denn als ein Kontinuum mit schwankenden Ausprägungen über den Verlauf der individuellen Krankheitsgeschichte hinweg. Non-adhärentes Verhalten manifestiert sich im Auslassen oder Verschieben einzelner Dosen der Medikation und in zeitlich begrenzten Versuchen, ohne jegliche Medikation auszukommen. Die folgenden Gründe für Adhärenz oder Non-Adhärenz wurden identifiziert: die individuellen Erwartungen an die positive Wirkung der Medikation bzw. an etwaige schädliche Nebenwirkungen, das tatsächliche Erleben der (Neben-)Wirkungen der Medikation, das Wissen um die Wirkweise der Medikamente sowie um den Verlauf der Erkrankung, das Vertrauen in den behandelnden Arzt, die Praktikabilität der aktuellen Medikation (Art der Applikation, Verträglichkeit, Integrierbarkeit in Tagesablauf) und bestimmte Persönlichkeitseigenschaften der Patienten (Gewissenhaftigkeit, Offenheit). Erleichtert wird adhärentes Verhalten aus Sicht der Patienten durch das Etablieren von Routinen für die Medikamenteneinnahme, die Inanspruchnahme sozialer Unterstützung durch Angehörige und das bewusste Verdrängen von Ängsten in Bezug auf etwaige gefährliche Nebenwirkungen der Medikamente.

Diskussion: Nahezu alle interviewten Patienten weisen einen gewissen Grad an Ambivalenz in Bezug auf ihre verordnete Medikation auf. Sie beschreiben die Entscheidung für oder gegen adhärentes Verhalten als Resultat eines Aushandlungsprozesses zwischen wahrgenommenen Vor- und Nachteilen der Medikamenteneinnahme. Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass insbesondere das Vertrauen in den behandelnden Arzt dazu beitragen kann, dass sich Patienten mit RA trotz Bedenken für die Medikamenteneinnahme entscheiden.