Gesundheitswesen 2014; 76 - A7
DOI: 10.1055/s-0034-1386857

Sportliche Aktivität nach Gelenkersatz: Erfahrungen und Erwartungen älterer Rehabilitanden – Ergebnisse einer qualitativen Inhaltsanalyse leitfadengestützter Interviews

M Bethge 1, L Köhler 1, J Kiel 1, K Thren 2, A Gottschling-Lang 1, C Gutenbrunner 1
  • 1Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • 2Klinik Niedersachsen, Bad Nenndorf

Hintergrund: Obwohl die günstigen Auswirkungen angemessener sportlicher Aktivität unbestritten sind [1], ist die Initiierung und Aufrechterhaltung ausreichender sportlicher Aktivität für viele Menschen schwierig. Dies gilt insbesondere für ältere Menschen, v.a. nach Erkrankungen und operativen Eingriffen. Zugleich hat sportliche Aktivität gerade für diese Personengruppe einen hohen präventiven Wert (z.B. Sturzprophylaxe) und bildet eine besondere rehabilitative Herausforderung. Ziel unserer Studie war es, die Bedeutung sportlicher Aktivität für ältere Menschen mit Hüft- und Gelenkersatzimplantaten zu rekonstruieren und mögliche Wege zur langfristigen Aufrechterhaltung sportlicher Aktivität zu eruieren.

Methodik: Es wurden leitfadengestützte Interviews durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Der Leitfaden berücksichtigte sechs Themen: i. Präoperative Einschränkungen; ii. Präoperative sportliche Aktivität; iii. Motive; iv. Barrieren; v. Planung; vi. Thematisierung zukünftiger sportlicher Aktivität während der Rehabilitation. Die Interviewtranskripte wurden als Dokumente in die Analysesoftware MAXQDA geladen und bildeten die Grundlage der Auswertung. Die Kodierung erfolgte durch zwei Personen. Die durch die Untersuchungsfragen gesetzten thematischen Schwerpunkte bildeten als deduktive Kategorien die oberste Ebene unserer inhaltsanalytischen Zusammenfassung. Induktiv gewonnene Subcodes differenzierten die deduktiven Kategorien.

Ergebnisse: Sieben Frauen und acht Männern wurden interviewt. Das mittlere Alter der Teilnehmer lag bei 72,6 Jahren (SD= 7,1). Acht Personen erhielten einen Hüftgelenkersatz, sieben einen Kniegelenkersatz. Die Interviews dauerten im Mittel eine halbe Stunde. Insgesamt wurden 520 Textstellen kodiert, im Mittel 34,7 (SD= 11,1) pro Interview. Die Ergebnisse dokumentieren erhebliche präoperative Einschränkungen und zeigen eine große Bandbreite präoperativer sportlicher Aktivität (niedrigschwellige und alltagsnahe Breitensportarten; klassische gesundheitsorientierte Sportarten; Wettkampf- und Trendsporten; Geselligkeitssportarten; Krankengymnastik). Die am stärksten betonten Motive waren die soziale Funktion sportlicher Aktivität und positive Erlebnisse durch Selbst- und Naturerfahrung. Die deutlichsten Barrieren waren die Selbstfestlegung auf die Rolle als kranke und alte Person sowie Unsicherheit und Angst über den weiteren Verlauf. Stark reglementierende Bewegungsempfehlungen ohne Berücksichtigung der individuellen Bewegungshistorie wurden als wenig hilfreich wahrgenommen.

Diskussion: Für die Rehabilitation ist entscheidend, dass die Zielsetzung regelmäßiger sportlicher Aktivität vor allem über Planung zur erfolgreichen Durchführung einer Handlung führt [2]. Planungsinterventionen sind daher ein wichtiges Element erfolgreicher Rehabilitationsstrategien. Unsere Studie identifiziert in Ergänzung dieser Befunde wichtige Motive und Barrieren älterer Rehabilitanden mit implantierten Hüft- und Kniegelenkendoprothesen, die bei der Planung und Auswahl zukünftiger sportlicher Aktivität in der Rehabilitation zu berücksichtigen sind. Der moderierte Austausch mit aktiven Personen in einer vergleichbaren Lebenssituation kann helfen, die selbstauferlegte Kranken- und Altenrolle in Frage zu stellen. Die Vermittlung in konkrete Angebote nach der Rehabilitation sollte zudem die hohe Bedeutung der sozialen Funktion sportlicher Aktivität berücksichtigen. Dabei können regional gut etablierte Sportvereine mit Angeboten für ältere Personen eine wichtige Ressource bilden. Eine für die Rehabilitanden relevante Beratung muss darüber hinaus die individuellen Erfahrungen mit sportlicher Aktivität berücksichtigen, um gezielt zu bereits ausgeübten Aktivitäten zu informieren. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass die in der Hip Society und der Knee Society organisierten Ärzte die Möglichkeiten sportlicher Aktivität nach einer Gelenkersatzoperation heute deutlich erweitert sehen [3].