Hintergrund: Der Begriff „Patientenorientierung“ wird in der Versorgungsforschung in verschiedenen
Teilgebieten in unterschiedlichen Bedeutungen und Kontexten verwendet.
Methodik: In diesem Beitrag werden drei Forschungsbereiche herausgegriffen, in denen Patientenorientierung
in je eigener Weise thematisiert wird: „patient-reported outcomes“, „patient empowerment“
sowie Selbsthilfe und Patientenorganisationen.
Ergebnisse: Im Zusammenhang mit der Evaluation der Wirksamkeit therapeutischer Interventionen
ist Patientenorientierung in der zunehmenden Forderung nach der Erfassung sogenannter
„patient-reported outcomes“ (PROs) reflektiert. Unter PROs werden Endpunkte zur Erfassung
der Ergebnisqualität in Studien und Versorgungsroutine verstanden, die durch den Patienten
selbst berichtet und nicht etwa durch einen Arzt interpretiert werden. Die Vielzahl
an verfügbaren PROs erfordert eine systematische Klassifikation nach Konstrukt, Population
und Messung sowie die Bewertung der Messgüte anhand konsentierter Gütekriterien (Validität,
Reliabilität, Veränderungssensitivität). Dadurch sollen Anhaltspunkte geliefert werden,
welche PROs sich für welche Fragestellung am besten eignen. Ein weit verbreitetes
PRO ist das Konstrukt der Lebensqualität, das sich heute als Messgröße in klinischen
Studien etabliert hat und auch im Sozialgesetzbuch als Gesundheitsziel festgeschrieben
ist. Weitere Beispiele sind Instrumente zur Erfassung von Symptomen, Behandlungszufriedenheit
oder Adhärenz.
Mit dem Konzept des „patient empowerment“ sollen Autonomie und Handlungsoptionen des
individuellen Patienten in Bezug auf die Erkrankung gestärkt werden. Es stellt damit
eine Antithese zum Paternalismus in der Arzt-Patient-Beziehung dar. Hinsichtlich der
praktischen Umsetzung gibt es vielfältige Ansätze. In Interventionsstudien werden
Maßnahmen untersucht, die an den einzelnen Voraussetzungen für „patient empowerment“
ansetzen. Typische Themen sind die Gesundheitskompetenz („health literacy“) von Patienten,
ihre Partizipation an den Entscheidungen im Behandlungsprozess („shared decision-making“),
der Kompetenzerwerb im Umgang mit den Folgen der Erkrankung (z.B. durch Patientenschulungen)
oder die Entwicklung und der Einsatz evidenzbasierter Patienteninformationen. Auf
der gesellschaftlichen Ebene wird Patientenorientierung im Rahmen von Forschung zu
gesundheitsbezogener Selbsthilfe und Patientenorganisationen thematisiert. Selbsthilfegruppen
und -organisationen (SHG bzw. SHO) sind Kristallisationspunkte, in denen sich Patienteninteressen
und -präferenzen kollektiv bündeln. Die Arbeit von SHO basiert in erster Linie auf
Information und Erfahrungswissen von Betroffenen („Laien“), das eine alternative oder
komplementäre Ressource zu den biomedizinischen Wissensressourcen im professionellen
Versorgungssystem darstellt. Gegenstand der Versorgungsforschung in diesem Gebiet
sind etwa Ziele und Aktivitäten von Selbsthilfeorganisationen, Chancen der Integration
von organisierter Selbsthilfe für eine Verbesserung der professionellen Versorgung
sowie Barrieren der Inanspruchnahme. Patienten mit Migrationshintergrund und in schwierigen
sozio-ökonomischen Lagen sowie Männer sind durch Selbsthilfeangebote schwer erreichbar.
Derzeit gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse zur Nutzung, zu Barrieren und
zur Sichtweise dieser Bevölkerungsgruppen in Bezug auf Selbsthilfeangebote.
Schlussfolgerung: In der Versorgungsforschung wird Patientenorientierung in unterschiedlicher Weise
erforscht. Drei Aspekte wurden herausgegriffen: In klinischen Studien und in der Versorgungsforschung
gewinnen „patient-reported outcomes“ – insbesondere Lebensqualität – an Bedeutung,
das Konzept des „patient empowerment“ soll die Autonomie und Handlungsoptionen von
Patienten stärken, und die Rolle von Selbsthilfe und Patientenorganisationen wird
im Verhältnis zum professionellen Versorgungssystem analysiert.