Gesundheitswesen 2014; 76 - A1
DOI: 10.1055/s-0034-1386851

Ausgewählte Aspekte von Patientenorientierung in der Versorgungsforschung

C Apfelbacher 1, S Brandstetter 1, J Curbach 1, M McCool 1, M Koller 2, J Loss 1
  • 1Universität Regensburg, Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Abt. Medizinische Soziologie, Regensburg
  • 2Universitätsklinikum Regensburg, Zentrum für Klinische Studien, Regensburg

Hintergrund: Der Begriff „Patientenorientierung“ wird in der Versorgungsforschung in verschiedenen Teilgebieten in unterschiedlichen Bedeutungen und Kontexten verwendet.

Methodik: In diesem Beitrag werden drei Forschungsbereiche herausgegriffen, in denen Patientenorientierung in je eigener Weise thematisiert wird: „patient-reported outcomes“, „patient empowerment“ sowie Selbsthilfe und Patientenorganisationen.

Ergebnisse: Im Zusammenhang mit der Evaluation der Wirksamkeit therapeutischer Interventionen ist Patientenorientierung in der zunehmenden Forderung nach der Erfassung sogenannter „patient-reported outcomes“ (PROs) reflektiert. Unter PROs werden Endpunkte zur Erfassung der Ergebnisqualität in Studien und Versorgungsroutine verstanden, die durch den Patienten selbst berichtet und nicht etwa durch einen Arzt interpretiert werden. Die Vielzahl an verfügbaren PROs erfordert eine systematische Klassifikation nach Konstrukt, Population und Messung sowie die Bewertung der Messgüte anhand konsentierter Gütekriterien (Validität, Reliabilität, Veränderungssensitivität). Dadurch sollen Anhaltspunkte geliefert werden, welche PROs sich für welche Fragestellung am besten eignen. Ein weit verbreitetes PRO ist das Konstrukt der Lebensqualität, das sich heute als Messgröße in klinischen Studien etabliert hat und auch im Sozialgesetzbuch als Gesundheitsziel festgeschrieben ist. Weitere Beispiele sind Instrumente zur Erfassung von Symptomen, Behandlungszufriedenheit oder Adhärenz.

Mit dem Konzept des „patient empowerment“ sollen Autonomie und Handlungsoptionen des individuellen Patienten in Bezug auf die Erkrankung gestärkt werden. Es stellt damit eine Antithese zum Paternalismus in der Arzt-Patient-Beziehung dar. Hinsichtlich der praktischen Umsetzung gibt es vielfältige Ansätze. In Interventionsstudien werden Maßnahmen untersucht, die an den einzelnen Voraussetzungen für „patient empowerment“ ansetzen. Typische Themen sind die Gesundheitskompetenz („health literacy“) von Patienten, ihre Partizipation an den Entscheidungen im Behandlungsprozess („shared decision-making“), der Kompetenzerwerb im Umgang mit den Folgen der Erkrankung (z.B. durch Patientenschulungen) oder die Entwicklung und der Einsatz evidenzbasierter Patienteninformationen. Auf der gesellschaftlichen Ebene wird Patientenorientierung im Rahmen von Forschung zu gesundheitsbezogener Selbsthilfe und Patientenorganisationen thematisiert. Selbsthilfegruppen und -organisationen (SHG bzw. SHO) sind Kristallisationspunkte, in denen sich Patienteninteressen und -präferenzen kollektiv bündeln. Die Arbeit von SHO basiert in erster Linie auf Information und Erfahrungswissen von Betroffenen („Laien“), das eine alternative oder komplementäre Ressource zu den biomedizinischen Wissensressourcen im professionellen Versorgungssystem darstellt. Gegenstand der Versorgungsforschung in diesem Gebiet sind etwa Ziele und Aktivitäten von Selbsthilfeorganisationen, Chancen der Integration von organisierter Selbsthilfe für eine Verbesserung der professionellen Versorgung sowie Barrieren der Inanspruchnahme. Patienten mit Migrationshintergrund und in schwierigen sozio-ökonomischen Lagen sowie Männer sind durch Selbsthilfeangebote schwer erreichbar. Derzeit gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse zur Nutzung, zu Barrieren und zur Sichtweise dieser Bevölkerungsgruppen in Bezug auf Selbsthilfeangebote.

Schlussfolgerung: In der Versorgungsforschung wird Patientenorientierung in unterschiedlicher Weise erforscht. Drei Aspekte wurden herausgegriffen: In klinischen Studien und in der Versorgungsforschung gewinnen „patient-reported outcomes“ – insbesondere Lebensqualität – an Bedeutung, das Konzept des „patient empowerment“ soll die Autonomie und Handlungsoptionen von Patienten stärken, und die Rolle von Selbsthilfe und Patientenorganisationen wird im Verhältnis zum professionellen Versorgungssystem analysiert.