Das Glykoprotein Anti-Müller-Hormon (AMH), das als Homodimer ein Gewicht von 140 kDa
aufweist und zur TGF-ß-Familie gehört, wird als wichtiger Marker der ovariellen Reserve
klinisch genutzt. Erniedrigte Werte finden sich bei eingeschränkter ovarieller Funktionsreserve,
die durch ein schlechteres Ansprechen auf eine kontrollierte ovarielle Stimulation
im Rahmen der künstlichen Befruchtung gekennzeichnet ist. Patientinnen mit niedrigen
AMH-Spiegeln im Serum benötigen höhere FSH-Gaben. AMH hat dabei eine Bedeutung zur
Abschätzung der Erfolgsaussichten einer reproduktionsmedizinischen Maßnahme und dient
als Entscheidungshilfe.
Studienfrage:
Im Frühjahr 2013 wurde bekannt, dass der bis dahin genutzte AMH-Generation II ELISA-Kit
durch Störungen des Komplements im Serum zu falsch niedrigen Ergebnissen führen kann,
mit Abweichungen um bis zu 50'%. Die Firma, die den Kit herstellt, empfahl die Bestimmung
erst nach Vorverdünnung der Proben durchzuführen. Anhand einer retrospektiven vergleichenden
Analyse sollte geklärt werden, ob die früher bestimmten AMH-Werte signifikant sich
von den Testergebnissen, die mit der neuen Verfahrensanweisung bestimmt wurden, unterschieden.
Dazu wurden Serumproben genutzt, die im Rahmen einer Doktorarbeit asserviert wurden.
Methode:
In die Studie wurden Analysen von 68 Patientinnen eingeschlossen, die eine ICSI Behandlung
in der IVF-Ambulanz der Universitätsfrauenklinik Dresden von März 2010 bis Dezember
2012 erhielten und deren AMH-Werte in unserem Hormonlabor innerhalb von 6 Monaten
vor Stimulationsbeginn gemessen wurden (Enzyme-linked Immunosorbent Assay). Es wurden
die original AMH-Werte mit Kontroll-AMH-Werten aus Rückstellmustern der Patientinnen
verglichen. Dabei wurde aus den Rückstellmustern in einem Versuchsansatz jeweils eine
intra-Assay-Bestimmung durchgeführt. Variante 1: Bestimmung des AMH mittels Verdünnung
auf Testplatte. Variante 2: Aktuelle Empfehlung der Herstellerfirma Beckman Coulter
mit Bestimmung des AMH-Wertes nach Vorverdünnung.
Ergebnisse:
Die Zuverlässigkeit der AMH-Bestimmung war in dieser Untersuchung starken Schwankungen
unterworfen. In insgesamt 38,6% der Fälle wichen die Kontrollbestimmungen von den
Originalwerten ab. Der Großteil (43,9%) der Kontrollwerte wich nach oben ab und war
im Vergleich zum Originalwert höher. Bei 13,8% wichen die Kontrollwerte nach unten
ab. Die Standardabweichung der Abweichungen beträgt 1,5 ng/ml. Die Abweichungen variieren
besonders bei Bestimmungen die im Jahr 20011 – 2012 durchgeführt wurden, obwohl der
gleiche Kit mit gleicher Bestimmungsmethode genutzt wurde. Eine herstellerinterne
Veränderung des AMH Gen II ELISA-Kit ab 2012 könnte eine mögliche Erklärung sein,
die dann auch im Frühjahr 2013 zu einer Veränderung der Anwendungsvorschrift geführt
hat.
Schlussfolgerung:
Laborbefunde sind vermeidbaren und unvermeidbaren Einflüssen unterworfen, die die
Aussagefähigkeit und Zuverlässigkeit einer Labormethode vermindern können. Dies hat
Einfluss auf therapeutische Entscheidungen im klinischen Alltag. Zur Abschätzung von
Erfolgsaussichten einer reproduktionsmedizinischen Maßnahme sollten auch klinische
Aspekte wie antrale Follikelanzahl und klinisches Ansprechen auf bisherige hormonelle
Stimulationen in die Festlegung der individuellen Stimulationsdosis einbezogen werden.