Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2014; 11 - A59
DOI: 10.1055/s-0034-1375418

5-Jahres Überlebensvorteil von Brustkrebspatientinnen durch Abweichungen von S3-Leitlinien: Nachweis des Adhärenzparadoxons

CO Jacke 1, M Kalder 2, U Wagner 3, U Albert 3
  • 1Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, AG Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie, Mannheim, Deutschland
  • 22Universitätsklinikum Marburg und Gießen, Standort Marburg, Brustzentrum Regio, Marburg, Deutschland
  • 3Universitätsklinikum Marburg und Gießen, Standort Marburg, Brustzentrum Regio, Marburg, Deutschland

Hintergrund:

Die BRENDA-Studie erbrachte den Effektivitätsnachweis von S3-Leitlinien im Versorgungsalltag. Eine Schwäche lag jedoch in der geringen Zahl an Adhärenzkriterien und der zeitunabhängigen Anwendung auf medizinische Entscheidungen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Studie an und untersucht die Entwicklung der Leitlinienadhärenz im Zeitvergleich. Überlebensvorteile wurden erwartet.

Methoden:

Das Brustkrebsnetzwerk Regio im Landkreis Marburg-Biedenkopf umfasst in den Untersuchungsperioden 1996 – 97 und 2003 – 04 drei Krankenhäuser, aus denen 389 und 488 Patientinnen mit einem primär therapierten Brustkrebs erfasst wurden. Invasive Karzinome ohne Fernmetastasen definierten die Stichproben, die zusätzlich nach regionaler Herkunft unterschieden. Mit Bezug zum stationären Versorgungsaufenthalt wurden aus den Krankenakten periodenspezifische Qualitätsindikatoren extrahiert und mit den Behandlungsempfehlungen aus S1- und S3-Leitlinien abgeglichen. Ein Adhärenzindex fasste die Indikatoren zusammen und diente als Unterscheidungskriterium für die 5-Jahres Überlebenswahrscheinlichkeiten, die mittels Cox-Regressionen geschätzt wurden.

Ergebnisse:

Von den 877 gingen 743 Patientinnen in die Analysen ein (84,7%), zu denen insgesamt 103 Qualitätsindikatoren vorlagen. Der Adhärenzindex stieg von 15,1% (1996 – 97) auf 35,2% (2003 – 04) systematisch an. 5-Jahres Überlebenswahrscheinlichkeiten stiegen im Zeitverlauf an, sind aber nicht systematisch. Paradoxerweise sind die Überlebenswahrscheinlichkeiten von S3-leitlinien-non-konform behandelten Patientinnen massiv gestiegen.

Schlussfolgerungen:

Von einem niedrigen Niveau ausgehend und, trotz eines gewachsenen, breiteren und komplexerer Behandlungsspektrums, ist die prozessbezogene Versorgungsqualität um mehr als doppelte gestiegen. Systematische Überlebensvorteile lassen sich nicht ableiten. Der empirische Nachweis des Adhärenzparadoxons belegt jedoch, dass S3-Leitlinien als Ausgangspunkt für teambasierte, multidisziplinäre und systematische Entscheidungen anzusehen sind und als ein Kennzeichen für den fachgerechten Gebrauch von Leitlinien in zertifizierten Brustkrebszentren anzusehen sind. Eine Maximierung leitlinienbasierter Entscheidung ist die Maximierung der Leitlinienadhärenz vorzuziehen.