Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15 - PD241
DOI: 10.1055/s-0034-1374412

Pharmakovigilanzforschung mit GKV-Routinedaten: Verursacht Tetrazepam lebensbedrohliche Hautreaktionen?

S Klose 1, 2, M Schwaninger 3, F Verheyen 2, R Linder 2
  • 1Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • 2WINEG – Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland
  • 3Universität zu Lübeck, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Lübeck, Deutschland

Hintergrund: Bis zum Entzug der Zulassung am 1.8.2013 durch das Bundesinstitut BfArM war Tetrazepam das am zweit häufigsten verordnete zentrale Muskelrelaxanz. Das BfArM folgte damit einer Empfehlung der europäischen Medizin Agentur (EMA), die auf die Gefahr lebensbedrohlicher Hautreaktionen wie dem Erythema multiforme (EM), dem Steven-Johnson-Syndrom (SJS) und der toxisch epidermalen Nekrolyse (TEN) hinwies. Ziel der vorliegenden Arbeit ist zu prüfen, inwieweit sich diese Risiken mit GKV Routinedaten verifizieren lassen.

Methode: In die Untersuchung eingeschlossen wurden alle Versicherten der Techniker Krankenkasse, an welche im Zeitraum 1.1.2010 – 31.12.2011 Tetrazepam abgegeben wurde und für die im Jahr zuvor weder ambulant noch stationär eine Diagnose EM, SJS oder TEN dokumentiert war. Der Nachbeobachtungszeitraum umfasste das Quartal der Abgabe sowie die vier Folgequartale. Das Risiko wurde mit dem einer Kontrollgruppe verglichen (Propensity Score Intervall Matching mittels Alter, Geschlecht und Elixhauser-Komorbiditätsindex).

Ergebnisse: Es wurden 199.528 Tetrazepamnutzer identifiziert und mit 1.185.470 Nichtexponierten gepaart, darunter war bei 90 bzw. 275 Versicherten ein untersuchtes EM dokumentiert. Davon wurde das SJS bei 22 vs. 46; TEN 23 vs. 24 Fällen identifiziert. Für jede der drei Diagnosen zeigte sich unter den Tetrazepamnutzern ein deutlich erhöhtes Risiko (EM: Odds-Ratio 1,94, 95% Konfidenzintervall [1,54, 2,47] p < 0,0001; SJS: 2,84 [1,75, 4,62] p < 0,0001; TEN: 5,69 [3,43, 9,44] p < 0,0001).

Diskussion: Erstmals konnte auf Basis einer statistisch relevanten Datengrundlage die vermutete Assoziation zwischen Tetrazepam und Hautreaktionen (EM, SJS und TEN) gesehen werden. Bislang wurde diese Assoziation nur aufgrund von Fallberichten angenommen. Unsere Ergebnisse weisen darauf, dass die Entscheidung von BfArM und EMA richtig war, Tetrazepam die Zulassung zu entziehen. GKV Routinedaten können einen wichtigen Beitrag zur Pharmakovigilanzforschung leisten.