PPH 2014; 20(02): 68-69
DOI: 10.1055/s-0034-1371780
Szene
Larses lyrische Lebensberatung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie schreibe ich?

Lars Ruppel
Further Information

Publication History

Publication Date:
21 March 2014 (online)

Zoom Image
(Foto: Bachmann | pixelshaping)

Wenn der große Komiker Karl Valentin sagt „Es wurde schon alles gesagt, nur nicht von allen“, dann bin ich ganz seiner Meinung und setze mir ihm zu Ehren eine Clownsnase auf. Jetzt sitze ich da mit einer Clownsnase im Gesicht und wage eine kühne Ergänzung dieses Zitats: „Es wurde auch schon alles geschrieben, nur nicht von jedem.“ Deshalb möchte ich Sie in der heutigen Ausgabe von Larses lyrischer Lebensberatung zum Schreiben begeistern – und wenn es mir auch nur bei einem Menschen gelingt, so will ich die Clownsnase gerne aufbehalten.

In den letzten Ausgaben von Larses lyrischer Lebensberatung ging es um den Einsatz klassischer Gedichte in der Pflege. Dabei habe ich großen Wert auf eine ausgewogene Gedichtauswahl gelegt. Zum Einsatz kamen sowohl unbekannte Schätze als auch große Klassiker, leichte Reime mit viel Humor oder schwere Zeilen voll großer Emotion: Die Möglichkeiten, Gedichte in der täglichen Pflege einzusetzen, sind nahezu unbegrenzt. Dabei wurde der größte Fundus an Gedichten bisher noch gar nicht genutzt: ein leeres Blatt Papier und ein Stift.

Als ich vor 12 Jahren mit dem Schreiben von Gedichten anfing, war meine Motivation relativ banal. Man sagte mir, für die Teilnahme bei einem Poetry-Slam, einem modernen Dichterwettkampf, bekäme man Freigetränke und müsse keinen Eintritt zahlen. Da ich im damaligen Alter von 16 Jahren viel Durst aber kein Geld hatte, kam mir dieses Angebot sehr gelegen. Allerdings merkte ich schnell, dass es dabei um mehr ging als um Freigetränke und freien Eintritt.

Mit der eigenen Stimme einen selbstgeschriebenen Text vor Publikum vorzutragen ist eine große emotionale Herausforderung und ein Geschenk an die Zuhörer, denn die eigenen Worte gewähren tiefe Einblicke in das Gefühlsleben. Sie bündeln Empfindungen und lassen sie uns selbst wiedererleben. Das ist zwar anstrengend, doch nach dem Auftritt fühlt man sich umso besser.

Die Gedichte konservieren nämlich die Emotionen und Gedanken, die beim Schreiben den Stift über das Papier geführt haben. Man kann so von den Inhalten Abstand gewinnen, ohne sie zu verdrängen und sich später wieder mit ihnen auseinandersetzen und reflektieren. Sie ermöglichen uns die Erinnerung an Momente, die wir nicht vergessen wollen und machen sie immer wieder abrufbar.

Das unten stehende Gedicht „Ich bin Badewannenweltmeerkapitänin“ habe ich über eine Frau geschrieben, die mir in einem Pflegeheim in Berlin begegnete. Sie saß im Bademantel im Rollstuhl und sprach mit glänzenden Augen von der Schönheit des Badens. Ich habe versucht, ihr mit diesem Gedicht eine Stimme zu geben, denn obwohl sie auf Grund eines Schlaganfalls Schwierigkeiten hatte zu sprechen, war das, was sie sagen wollte, doch klar zu verstehen.

Ich bin Badewannenweltmeerkapitänin

Der Befehl lautet:

„Heissa“

Frag mich was. Ich sage nur „Heissa“!

Der Wind wird stärker

Das Segel ist mein dicker Bauch

Das Ruder habe ich abgegeben

Keine Sorgen keine Seenot

Schließ bitte das Fenster

Mir ist kalt

Ich gehe unter

In einem Kleid aus Schaum

Verweht von brühwarmen Böen

Wir lagen vor

Wir lagen vor...

Wo liege ich

Das Logbuch ist nass

Die Kombüse brennt

Der Papagei ist tot

Wo brandet diese Welle?

An einem neuen Strand

Voller Sand

Voller Zeit

Voll geil.

Lars Ruppel (*1985)

Die emotionale Auseinandersetzung mit den Menschen, mit denen wir arbeiten ist eine der wichtigsten Kompetenzen für diesen Beruf. Wir erleben in der Arbeit mit pflegebedürftigen Menschen oft sehr bewegende Momente, die sich nicht einfach bei Feierabend an der Fußmatte abstreifen lassen. Es ist sehr schwer, mit dieser Belastung alleine fertig zu werden und nicht jeder öffnet sich gerne anderen Menschen.

Ein Blatt Papier ist sehr geduldig und nimmt gerne alles in sich auf. Ob Kollegenschelte oder ein Abschied von einem Klienten, alles findet darauf Platz. Man kann sich allen Frust, aber auch alle Freude von der Seele schreiben und alles was man dazu braucht ist ein Stift und ein Papier. Denn Schreiben ist keine Frage von Talent, sondern von Mut und Kraft zur Überwindung des inneren Deutschlehrers, der einem sagt, dass man mit einer Drei in Deutsch unmöglich Gedichte schreiben könne. Es gibt beim Schreiben von Gedichten kein Richtig oder Falsch. Jedes Wort, das seinen Weg auf das Papier findet, ist an seiner Stelle genau richtig und wertvoll.

Lesen Sie das nächste Mal: Wie singe ich?

Podcast!

Sie wollen Lars Ruppel live hören? Und Tipps von ihm erhalten, wie Sie das Gedicht praktisch einsetzen können? Bitte schön:

Einfach den QR-Code mit Ihrem Smartphone einscannen oder auf www.thieme.de/pflege/LLL gehen. Wir wünschen viel Hörvergnügen!