Klinische Neurophysiologie 2014; 45 - P81
DOI: 10.1055/s-0034-1371294

Kindesmisshandlung und die Amygdalareaktivität auf emotionale Reize

U Dannlowski 1
  • 1Philipps-Universität Marburg, Psychiatrie, Marburg, Deutschland

Fragestellung: Kindesmisshandlung ist ein hoch prävalentes Phänomen. Es wird geschätzt, dass ca. 30 – 40% der erwachsenen Bevölkerung von Misshandlungserlebnissen in ihrer Kindheit betroffen waren. Das Risiko misshandelter Kinder, im Erwachsenenalter an Depression zu erkranken ist massiv erhöht. Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die neurobiologischen Grundlagen dieser Risikokonstellation zu untersuchen. Da depressiv Erkrankte in mehreren Untersuchungen eine Hyperreaktivität der Amygdala zeigten, war die Vermutung, dass als Kind misshandelte, aber gesunde Erwachsene bereits ein ähnliches Muster aufweisen.

Methoden: N = 148 psychisch gesunde und klinisch aufwändig charakterisierte Probanden nahmen an der Untersuchung teil. Die Responsivität der Amygdala wurde durch zwei etablierte Paradigmen in Reaktion auf emotionale Gesichter mittels fMRT gemessen. Das face-matching Paradigma ist ein äusserst robustes Instrument zur Aktivierung der Amygdala durch offen gezeigte wütende und furchtvolle Gesichter. Das subliminale Affektive Priming Paradigma zielte auf die automatischen Anteile der Amygdalareaktivität durch maskierte Darbietung trauriger und fröhlicher Gesichter. Kindesmisshandlung wurde durch die deutsche Version des Childhood Trauma Questionnaires (CTQ) erfasst. Zusätzlich wurden Skalen zur Depressivität, Ängstlichkeit und kürzer zurückliegenden stresshaften Lebensereignissen erhoben.

Ergebnisse: Wir beobachteten eine starke positive Korrelation von CTQ-Werten und Amygdalaresponsivität auf negative Gesichter im face-matching Paradigma. Im subliminalen affektiven Primingparadigma zeigte sich ein ähnlicher Effekt von traurigen Gesichtern, nicht jedoch auf positiven Gesichtsausdruck, qualifiziert durch eine Misshandlung x Valenz Interaktion. Beide Assoziationen waren nicht durch soziodemographische Variablen, Depressivität, Ängstlichkeit, Intelligenz oder kürzer zurückliegende stresshafte Lebensereignisse beeinflusst.

Diskussion: Das Ausmaß von Misshandlungserlebnissen in der Kindheit war mit bemerkenswerten funktionellen Auffälligkeiten im Gehirn gesunder Erwachsener assoziiert, die anscheinend noch Jahrzehnte später nachweisbar sind. Diese Auffälligkeiten decken sich mit jenen, die bei bereits erkrankten depressiven Patienten beschrieben wurden. Diese Daten implizieren, dass limbische Hyperresponsivität auf negative Stimuli ein Mediator für den Zusammenhang von Kindesmisshandlung und der Entwicklung affektiver Störungen darstellen und somit als Risikomarker für diese Erkrankungen nützlich sein könnten.