Klinische Neurophysiologie 2014; 45 - P15
DOI: 10.1055/s-0034-1371228

Stürze bei Schwindel- und Gleichgewichtserkrankungen – Prävalenzstudie in einer Spezial-Ambulanz

C Schlick 1
  • 1Klinikum der Universität München, Deutsches Schwindel- und Gleichgewichtszentrum, München, Deutschland

Fragestellung: Stürze sind eine verbreitete Komplikation, die besonders häufig im höheren Alter [1] und bei Erkrankungen mit Bewegungsstörungen [2,3] auftritt. Obwohl die Gang- und Standstabilität bei Patienten mit Schwindel und Gleichgewichtsstörungen häufig beeinträchtigt ist und somit ein erhöhtes Sturzrisiko vermutet werden kann, gibt es bislang kaum Studien zur Sturzhäufigkeit bei diesen Patienten. Es wurde untersucht, wie hoch die Prävalenz von Stürzen und Sturzverletzungen innerhalb des Patientenkollektivs in einer Spezial-Ambulanz für Schwindel- und Gleichgewichtserkrankungen ist.

Methode: Im Rahmen einer Querschnitterhebung wurden 345 Patienten (einseitig peripher-vestibuläres Defizit: n = 75, beidseitig peripher-vestibuläres Defizit: n = 9, somatoformer Schwindel: n = 105, cerebelläres Syndrom: n = 20, vestibuläre Migräne: n = 36, Gleichgewichtsstörung bei neurodegenerativen Erkrankungen: n = 16, multifaktorielle Störung: n = 84) am Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum eingeschlossen. Entsprechend den Empfehlungen zur Erfassung der Sturzhäufigkeit [4] wurden mithilfe eines Fragebogens alle Sturz-Ereignisse sowie daraus resultierende Verletzungen über den Zeitraum der vorangegangenen 12 Monate erfasst. Als Sturzverletzungen gelten traumatische Haut- und Knochenverletzungen, die ambulant oder stationär versorgt wurden.

Ergebnisse: Die höchsten Jahresprävalenzen gestürzter Patienten liegen in den Gruppen der cerebellären Syndrome (ein Sturz: 70%, ≥2 Stürze: 55%) und neurodegenerativen Erkrankungen (ein Sturz: 63%, ≥2 Stürze: 50%), gefolgt von den multifaktoriellen Störungen (ein Sturz: 56%, ≥2 Stürze: 39%) (Abbildung 1). Bei diesen drei Patientengruppen gehen ca. 30% aller Stürze mit Verletzungen aus. In der Gruppe der einseitig peripheren Defizite liegt der Anteil der gestürzten Patienten bei 31% (≥2 Stürze: 19%), 22% der Stürze ziehen Verletzungen nach sich. In den Gruppen des somatoformen Schwindels und der vestibulären Migräne stürzen vergleichsweise die wenigsten Patienten (ein Sturz: 18%, ≥2 Stürze: 4% bzw. ein Sturz: 19%, ≥2 Stürze: 11%). Sturzverletzungen werden innerhalb dieser beiden Patientengruppen bei ca. 18% der Stürze verursacht.

Schlussfolgerung: Patienten mit Schwindel- und Gleichgewichtsstörungen bei cerebellären Syndromen und neurodegenerativen Erkrankungen stürzen besonders häufig. Für diese Gruppen ist es von großer Bedeutung Sturz-auslösende Faktoren zu ermitteln, um daraufhin gezielte präventive Maßnahmen einleiten zu können. Für die multifaktoriellen Störungen muss zunächst herausgefunden werden, welche Erkrankung als Sturz-prädiktiver Faktor im Vordergrund steht.

Abb. 1: Jahresprävalenzen gestürzter Patienten pro Diagnosegruppe

Literatur:

[1] Deandrea S, Lucenteforte E, Bravi F, Foschi R, La Vecchia C, Negri E. Risk factors for falls in community-dwelling older people. Epidemiology. 2010; 21(5):658 – 68.

[2] Matinolli M, Korpelainen JT, Sotaniemi KA, Myllylä VV, Korpelainen R. Recurrent falls and mortality in Parkinson's disease: a prospective two-year follow-up study. 2011; 123:193 – 200.

[3] Fonteyn EM, Schmitz-Huebsch T, Verstappen CC, Baliko L, Bloem BR, Boesch S et al. Falls in spinocerebellar ataxias: Results of the EuroSCA fall study. Cerebellum. 2010; 9:232 – 9.

[4] Hauer K, Lamb SE, Jorstad EC, Todd C, Becker C. Systematic review of definitions and methods of measuring falls in randomised controlled fall prevention trials. Age Aging. 2006; 35:5 – 10.