Zeitschrift für Phytotherapie 2013; 34(06): 259
DOI: 10.1055/s-0033-1364224
Editorial
© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Medizinische Leitlinien und Phytotherapie – ein Widerspruch?

Ahmed Madisch

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
07 January 2014 (online)

In der westlichen Medizin stehen Leitlinien im Zentrum des ärztlichen Handels. Medizinische Leitlinien sind systematisch erstellte Feststellungen, die die Entscheidungen des Arztes unterstützen sollen. Obwohl Leitlinien keine Richtlinien darstellen, ist ein Abweichen insbesondere von qualitativ hochwertigen Leitlinien im ärztlichem Handeln zu begründen. Nach dem System der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) gibt es unterschiedlichen Qualitäten der Leitlinien, von der S1- (von einer Expertengruppe im informellen Konsens erarbeitet) bis zur S3-Leitlinie (systematische Evidenzrecherche und Konsensbildung mit systematischer Analyse einschließlich Bewertung der klinischen Relevanz von Studien), wobei die S3-Leitlinie die höchste Qualitätsstufe besitzt.

In Deutschland werden die meisten Leitlinien von den medizinischen Fachgesellschaften und deren Experten erarbeitet. Die in Leitlinien getroffenen Aussagen werden mit Evidenzen belegt, wobei der höchste Evidenz- und Empfehlungsgrad sich auf Metaanalysen gut durchgeführter Studien und randomisierter, kontrollierter Doppelblindstudien bezieht.

Daraus kann man schlussfolgern, dass auch die Phytotherapie mit entsprechender hoher Evidenz nur in Leitlinien berücksichtigt wird, wenn die Wirksamkeit in einem kontrollierten Versuch nachgewiesen ist. Die im Bereich der Phytotherapie häufig praktizierte Erfahrungsmedizin findet daher in Leitlinien keine Berücksichtigung, sie kann lediglich als Hypothesengenerierung für eine kontrollierte Studie dienen. Erfreulicherweise wächst die Anzahl kontrollierter Studien, die Wirksamkeitsnachweise für Phytotherapeutika liefern. Bei richtiger Indikationsstellung zeigen viele Untersuchungen, dass pflanzliche Arzneimittel in ihrer Wirksamkeit den chemischen Monosubtanzen nicht nachstehen. Durch die Prüfung in doppelblinden, placebokontrollierten Studien werden daher mittlerweile Phytotherapeutika in nationalen und internationalen Leitlinien wissenschaftlicher Fachgesellschaften bei definierten Krankheitsbildern mit entsprechender Evidenz empfohlen, z.B. Johanniskrautpräparate bei leichter bis mittelschwerer Depression, Vielpflanzenextrakte bei funktionellen und entzündlichen Magen-Darmsowie Atemwegserkrankungen.

Die vorliegende Ausgabe der ZPT soll daher v.a. in Übersichten die in Leitlinien empfohlenen phytotherapeutischen Optionen zusammenfassen. Die Errungenschaften der letzten Jahre im Bereich der »beweisbaren « Phytotherapie können nur ein Ansporn sein, die wissenschaftlichen Aktivitäten angemessen zu fördern, um über die Empfehlungen in Leitlinien den Stellenwert der Phytotherapie im klinischen Alltag weiter zu stärken.