Orthopädie und Unfallchirurgie - Mitteilungen und Nachrichten 2013; 02(06): 676-679
DOI: 10.1055/s-0033-1363707
Aus unserem Fach
INTERVIEW
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Kongress auf Neuland

Jana Ehrhardt-Joswig
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Publication Date:
09 January 2014 (online)

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Die diesjährigen Präsidenten: Prof. Dr. Bernd Klady, Herzogenaurach, Prof. Dr. Karl-Dieter Heller, Braunschweig, und Prof. Dr. Reinhard Hoffmann, Frankfurt/Main.
Foto: Starface

In unserem Interview sprechen die Kongresspräsidenten Prof. Dr. Karl-Dieter Heller (BVOU), Prof. Dr. Reinhard Hoffmann (DGU) und Prof. Dr. Bernd Kladny (DGOOC) unter anderem darüber, wie es ist, Menschen zu bewegen und damit Erfolge zu erleben.

Sie blicken gerade in diesem Jahr auf beachtliche Erfolge zurück: Das Traumaregister ist 20 Jahre alt geworden, das Endoprothesenregister hatte einen sehr guten Start, jetzt kommt Endocert… Man könnte fast meinen, ein Kongress-Motto, in dem das Wort „Erfolg“ nicht vorkommen würde, wäre gar nicht möglich gewesen.

Prof. Hoffmann: Nicht nur aus diesem Grund haben wir „Erfolge erleben“ in unser Motto geschrieben. Ich glaube schon, dass wir insgesamt unser Licht nicht unter den Scheffel stellen müssen und wir als O&U nicht nur in der Endoprothetik und in der Polytraumaversorgung, sondern insgesamt sehr erfolgreich sind. Das geht immer ein bisschen unter. Natürlich wird immer auf die Big Points fokussiert – aber wir sind auch an vielen anderen Stellen aktiv. Das betrifft insbesondere die konservative Behandlung. Sie bildet die Basis, auf der wir mit unseren operativen Maßnahmen aufsetzen. Das darf man nicht vernachlässigen.
Prof. Kladny: Das Kongressmotto ist nicht allein bezogen auf Traumanetzwerk, Endocert und Prothesenregister. Sondern ...
Prof. Hoffmann: ... auf das Gesamtkunstwerk Orthopädie und Unfallchirurgie.
Prof. Kladny: Genau. Für unser Fach ist ganz besonders kennzeichnend, dass es Menschen bewegt. Mobilität meint nicht nur die Fortbewegung. Indem sie dem Menschen ermöglicht, dorthin zu gehen, wo er sein möchte, ist Mobilität ganz wesentlich für seine Selbstbestimmung. Indem wir als Fach uns mit dem Bewegungssystem beschäftigen, beschäftigen wir uns eben auch mit solchen Fragen.
Prof. Heller: Unser Kongressmotto umschreibt auch unseren Alltag. Der Kongress ist das Eine, Klinik- und Praxistätigkeit das Andere. Dort erleben wir täglich Erfolge. Wir behandeln Menschen und sehen, wie wir ihnen damit helfen. Wir befreien sie von Schmerzen, geben ihnen ihre Beweglichkeit zurück, erleben ihre Zufriedenheit – darin liegt der ganz besondere Reiz unseres Berufes.

Die Erfolge des Faches spiegeln sich in den Schwerpunktthemen des Kongresses. Dazu gehört die Endoprothetik. Welche Erfolge sind dort zu verzeichnen?

Prof. Heller: Moderne Materialien und Verfahren machen es möglich, dass wir immer mehr Menschen versorgen können, und zwar jüngere wie ältere. Modern heißt: bessere Gleitpaarungen, knochensparende Implantate und besondere, minimal-invasive Zugangswege. Die Patienten haben nach den Operationen weniger Schmerzen, erholen sich viel schneller, sind schneller wieder beweglich, gleichzeitig werden die Standzeiten immer länger. Weil wir in der ersten OP weniger Knochen opfern müssen, haben wir im Rahmen von Wechsel-Operationen weniger große Defekte.

Prof. Hoffmann, können Sie bitte die Fortschritte bei den Osteosynthese­verfahren zusammenfassen?

Prof. Hoffmann: Fortschritte in der Osteosynthese gibt es insbesondere bei den winkelstabilen Implantaten. So ist zum Beispiel die Schraubenrichtung freier wählbar. Die intraoperative Bildgebung hat sich erheblich weiterentwickelt. Von besonderer Bedeutung in unserer immer älter werdenden Gesellschaft ist, dass die Verankerung von Implantatsystemen im osteoporotischen Knochen immer besser gelingt. Die Zementaugmentation von Implantaten spielt dabei eine immer größere Rolle. Dabei wird der Knochenzement, der für die Verankerung des Implantates im Knochen benötigt wird, direkt durch die Schrauben in das Implantat eingebracht. Unsere Patienten können sich durch diese Dinge schneller besser bewegen. Das ist vor allem für die älteren Patienten extrem wichtig. Bewegung ist Leben.

Wenn wir über Fortschritte in der konservativen Therapie sprechen, Herr Prof. Kladny, sprechen wir dann über innovative Behandlungsmethoden oder darüber, dass der Stellenwert der konservativen Therapie wieder steigt?

Prof. Kladny: Der wesentliche Fortschritt ist, dass man den Stellenwert der nicht operativen Verfahren wieder erkennt. Wesentliche Neuerungen gibt es nicht. Die konservative Therapie besteht ja aus einer Erfahrungswissenschaft, die teilweise lange zurückreicht. Es ist eine große Errungenschaft des diesjährigen DKOU zu betonen, dass die konservative Therapie zusammen mit den operativen Verfahren in einem sinnvollen Algorithmus im Ablaufplan der Behandlung verankert werden muss.

Es ist eine große Errungenschaft des diesjährigen DKOU zu betonen, dass die konservative Therapie zusammen mit den operativen Verfahren in einem sinnvollen Algorithmus im Ablaufplan der Behandlung verankert werden muss.
Prof. Dr. Bernd Kladny

Der DKOU ist der europaweit größte Kongress von Orthopäden und Unfallchirurgen. Macht sich das am Publikum bemerkbar? Kommen viele Teilnehmer aus dem Ausland?

Prof. Heller: Wir erleben einen zunehmenden Zustrom aus dem Ausland. Am augenfälligsten ist der Besuch einer Delegation von etwa 80 chinesischen Kollegen, den wir dem Engagement von Prof. Puhl zu verdanken haben. Mit dieser Delegation haben wir ja auch vor dem Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Thomas Ilka, die Berlin Declaration unterzeichnet. Darin haben wir eine Intensivierung der Zusammenarbeit und des Wissensaustausches vereinbart. Wir drei werden auch am Kongress der Chinesischen Orthopädischen Fachgesellschaft teilnehmen. Wir gestalten dort einen Vortragsblock für die DGOU.
Prof. Kladny: Man kann durchaus sagen, die Welt blickt auf den DKOU. Neben der hochrangigen chinesischen Delegation, darunter Präsidenten und Vorstandsmitglieder der chinesischen Fachgesellschaft, hatten wir in diesem Jahr die Gastländer Spanien und Österreich, die Sitzungen bei uns gehalten haben. Das ist eine große Anerkennung für uns.
Prof. Hoffmann: Neben den offiziellen Gastländern kommen immer auch Gäste aus weiteren Ländern. Die Polen sind immer dabei, die Holländer sind immer dabei, zusätzlich konnten wir eine große japanische Delegation begrüßen. Wir genießen also zunehmend internationale Beachtung. Darauf haben wir uns eingestellt, zum Beispiel wurde die Eröffnungsveranstaltung simultan übersetzt.
Prof. Heller: Der DKOU ist wirklich ein hochrangiger Kongress von großer internationaler Bedeutung – allerdings einer mit Sprachbarriere. Wäre unser Kongress englischsprachig, wäre die Zahl der ausländischen Gäste noch viel höher. Die würden gerne kommen, wenn sie etwas verstehen würden.

Der DKOU ist wirklich ein hochrangiger Kongress von großer internationaler Bedeutung – allerdings einer mit Sprachbarriere. Wäre unser Kongress englischsprachig, wäre die Zahl der ausländischen Gäste noch viel höher.
Prof. Dr. Karl-Dieter Heller

Was genau steht in der Berlin Declaration?

Prof. Kladny: Die Berlin Declaration stellt fest, dass Erkrankungen des Bewegungssystems zusammen mit Unfällen die zweithäufigste Ursache weltweit für Behinderung darstellen. Das gilt für Europa, speziell für Deutschland, genau so, wie es für die großen Schwellenländer im Allgemeinen und China im Speziellen gilt. Es geht darum, Konzepte über die medizinische Versorgung einer älter werdenden Bevölkerung auszutauschen, um voneinander zu lernen.

Ist China ein Partner für eine solche Declaration, weil dort der demografische Wandel, den wir derzeit in Deutschland erleben, schon eingetreten ist? – Sie schütteln mit dem Kopf?

Prof. Hoffmann: Es geht da weniger um die demografische Entwicklung, sondern mehr um die unterschiedlichen Gesundheitssysteme. In China gibt es riesige Unfallkrankenhäuser mit bis zu 1.000 Betten, und die sind praktisch alle in militärischer Hand. Deshalb sind sie auf große Katastrophen, Erdbeben beispielsweise, sehr gut vorbereitet. Wir sind eher im Sinne der Individualversorgung von Schwerstverletzten gut aufgestellt. Schon auch für den Katastrophenfall – aber die Individualversorgung steht im Vordergrund, auch in den Traumanetzwerken. Das gibt es in China so nicht. Allerdings gibt es dort – im Gegensatz zu Deutschland, weil wir hier eine sehr gute Prävention haben – wesentlich mehr schwere Unfälle. Wir können dort also Dinge sehen – das gilt für die Orthopädie wie für die Unfallchirurgie –, die es hier gar nicht mehr gibt. Trotzdem ist es wichtig für einen Chirurgen, sich damit auszukennen. Wir können also sehr viel voneinander lernen.

Trotzdem würde ich gern beim demografischen Wandel bleiben. Der alte Patient und seine Besonderheiten sind ebenfalls ein Schwerpunktthema. Künftig wird es immer mehr ältere und alte Patienten geben. Sind wir darauf vorbereitet?

Prof. Heller: Wir sind gewappnet. Fraglich ist, ob das Gesundheitssystem dafür gewappnet ist.
Prof. Kladny: In medizinischer Hinsicht sind diese Herausforderungen beherrschbar. Wir haben ein gutes System, sowohl der akutmedizinischen Versorgung als auch der Rehabilitation. Die Frage ist, ob wir uns das noch lange leisten können. Es wird ja jetzt schon diskutiert, ob wir zu viel operieren, ob die Krankenkasse für die Reha zuständig ist oder eher die Pflegekasse… Die wollen dafür nichts ausgeben. Medizinische Konzepte gibt es. Aber das Gesundheitssystem muss sich darauf auch einstellen.

Sind die Zentren für Alterstraumatologie, an denen die DGU feilt, ein Beispiel für solche Konzepte?

Prof. Hoffmann: Das ist richtig. Ich will aber kurz an das anknüpfen, was Herr Kladny gesagt hat. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Wir müssen uns überlegen, was wir uns in Zukunft leisten wollen. Wenn es so weitergeht wie bislang, ist es auf Dauer nicht mehr bezahlbar. Es ist aber absolut inakzeptabel, dass O&U für Kostensteigerungen verantwortlich gemacht wird, die in Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung nun einmal entstehen, wenn man eine optimale Individualmedizin anbieten möchte.

Wenn es so weitergeht wie bislang, ist es auf Dauer nicht mehr bezahlbar. Es ist aber absolut inakzeptabel, dass O&U für Kostensteigerungen verantwortlich gemacht wird, die in Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung nun einmal entstehen, wenn man eine optimale Individualmedizin anbieten möchte.
Prof. Dr. Reinhard Hoffmann

Nun zurück zu den Zentren für Alterstraumatologie. Das ist ein zartes Pflänzchen, bei dem eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Geriatern angestrebt wird. Der Mensch besteht nun einmal aus mehr als nur aus Knochen. Gerade alte Patienten sind häufig schwer krank und haben viele Nebenerkrankungen, die ein Orthopäde und Unfallchirurg in ihrer Komplexität nicht alleine überblicken kann. Deshalb sind wir auf die Zusammenarbeit mit internistischen, insbesondere geriatrischen Kollegen angewiesen, wenn wir diese schwerstkranken Patienten mit den vielen Medikamenten, die sie einnehmen müssen, vernünftig behandeln wollen.

Wenn wir über Zentren sprechen, können wir Endoprothesenzentren nicht außen vor lassen. Herr Prof. Heller, wie entwickelt sich die EndoCert-Initiative?

Prof. Heller: Sehr vielversprechend. 50 Kliniken sind zertifiziert, die Zahl der Bewerbungen steigt rapide an und liegt derzeit bei 300, etwa 125 Kliniken stehen derzeit im Zertifizierungsverfahren. Die Kliniken haben erkannt, dass sie ihre Ergebnisqualität im Bereich der Endoprothetik dank EndoCert verbessern und dies auch nach außen sehr gut darstellen können. EndoCert ist schließlich ein von der Fachgesellschaft etabliertes und anerkanntes System, das die besonders gute Struktur- und Prozessqualität bei den Kunstgelenk­operationen belegt. Die Patienten und die Kostenträger werden in Zukunft danach fragen.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Prävention. Was können Orthopäden und Unfallchirurgen dazu beitragen, um orthopädischen Erkrankungen und Verletzungen vorzubeugen?

Prof. Kladny: Wir haben zum Beispiel immer noch ein Problem mit der Umsetzung der Leitlinie für Osteoporosepa­tienten. Wir wissen ganz genau, dass wir 50 Prozent der Knochenbrüche durch eine adäquate leitliniengerechte Versorgung verhindern könnten. Aber nur 10 bis 20 Prozent der Patienten werden leitliniengerecht behandelt. Das müssen wir ändern!
Prof. Hoffmann: Aber auch da muss man wieder sagen, dass das angemessen bezahlt werden muss. Die Niedergelassenen brauchen Budgets, die es ihnen ermöglichen, die entsprechende Medikation zu verschreiben. Es kann durchaus passieren, dass ein Patient in einer Klinik ein Medikament bekommt, das der Niedergelassene ihm dann nicht weiter verordnen kann, will sein Budget das nicht zulässt. Diese Probleme muss man offen ansprechen.

Darüber wird doch seit Jahren gesprochen. Warum ändert sich an dem Zustand nichts?

Prof. Kladny: Osteoporose wird häufig nicht als Krankheit wahrgenommen, an der Menschen auch sterben. Jeder Politiker kann nachvollziehen, dass man an einem Herzinfarkt sterben kann. Es ist auch jedem klar, dass ein Schlaganfall gravierende Folgen haben kann. Osteoporose hingegen wird eher als Lifestyle-Erkrankung abgestempelt, die der Patient selber zu verantworten hat, weil er sich nicht ausreichend bewegt hat. Fakt ist allerdings, dass 20 Prozent der Patienten nach einem Osteoporose bedingten hüftnahen Oberschenkelbruch sterben. Das sind in Deutschland 10.000 bis 20.000 Tote im Jahr, soviel wie in anderen Ländern am Schlaganfall sterben. Das Bewusstsein, dass die Osteoporose tödlich sein kann, ist nicht geschärft.

Wie sieht es mit Präventionsprogrammen aus, für die O&U immer wieder wirbt. Erreichen Sie mit Ihren Appellen auch die Politik?

Prof. Kladny: Die Politiker zu überzeugen ist sehr schwierig. Das Problem bezüglich der Prävention sind die unterschiedlichen Töpfe in unserem System. Wenn Geld aus einem Topf genommen und dafür in einem anderen Topf eingespart wird, ist das gesamtwirtschaftlich betrachtet sinnvoll. So funktioniert zum Beispiel die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV). Wenn dort Geld ausgegeben wird, das im Gesamtprozess wiederum gespart wird, gilt das als sinnvoll. Deshalb stärkt die DGUV die Rehabilitation. In vielen anderen Bereichen in unserem System gibt es dieses Töpfedenken nicht. Da heißt es dann eher, dass auf die Früchte einer Investition jahrelang gewartet werden muss. Und Kostenträger sind momentan nicht dazu bereit, jetzt Geld auszugeben und erst in der Zukunft zu sparen. Die wollen lieber kurzfristige Einspareffekte.
Prof. Hoffmann: Einflussnahme auf die Politik... schwierig. Natürlich können wir als Fachgesellschaften und Berufsverband warnen und Presseerklärungen abgeben. Das wird aber direkt als Lobby­arbeit abgestempelt, nach dem Motto, dass es uns um unseren eigenen Vorteil geht. Das stimmt nicht. Diese Diskussion gehört auf die Ebene der Spitzenverbände und der Bundesärztekammer, weil die am ehesten gehört werden.

Wie lautet ihr ganz persönliches Kongress-Fazit?

Prof. Hoffmann: Der Kongress war super.
Prof. Heller: Der Kongress hat sehr viel Spaß gemacht. Er fand sozusagen auf Neuland statt, aber der neue Veranstaltungsort ist nur wenig kritisiert worden. Wir haben viel positives Feedback für alle Events bekommen. Unsere Themen sind sehr gut angenommen worden. Das spiegelt sich auch in den sehr hohen Besucherzahlen.
Prof. Kladny: Für mich war der Kongress ein Erfolg, weil die Menschen, mit denen ich zu tun hatte, mir berichtet haben, dass eine sehr gute Stimmung herrscht. Die Freude und Zufriedenheit, mit der wir diesen Kongress vorbereitet haben, hat sich offensichtlich auf unsere Besucher übertragen. Das zu sehen, kann einem Gastgeber schon große Freude bereiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Jana Ehrhardt-Joswig