manuelletherapie 2013; 17(05): 196-197
DOI: 10.1055/s-0033-1363146
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

JHV 2013 und Sonderkurs des DVMT e. V. mit Timothy Flynn zum Thema Manipulative Management for Lumbar and Cervical Disorders in Dresden

Marcus Trocha
1   Oskar-Pletsch-Str. 10, 01324 Dresden
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Publication Date:
19 December 2013 (online)

Am Wochenende 06./07. September 2013 fand das jährliche, immer in einem anderen Ort veranstaltete Treffen des Deutschen Verbandes für Manuelle Therapie (Maitland-Konzept) e. V. in Dresden statt. International renommierte Referenten werden für eine 2–3-tägige Fortbildung geworben. An einem der Abende findet die Jahreshauptversammlung statt, nach der im Anschluss meist alle gemeinsam essen gehen, was uns in diesem Jahr in die traditionsreiche Hausbrauerei Brauhaus Watzke direkt am Elbufer führte.

Zu Gast war diesmal Timothy Flynn (PT, PhD) aus Colorado/USA ( [Abb. 1]). Tim ist Physiotherapeut in einer eigenen Klinik in Fort Collins und Professor an der Rocky Mountain University of Health Professions. Er hat unzählige Publikationen und mehrere Buchbeiträge verfasst, ist Mitherausgeber des Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy (JOSPT), wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt und gilt als Experte auf dem Gebiet der muskuloskelatalen Physiotherapie und der manipulativen Therapie.

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Abb. 1 Timothy Flynn bei seinem Vortrag. (Foto: Thomas Janser)

Tim präsentierte zunächst höchstinteressante Daten aus den USA, in denen Kosten, Risiken und Nutzen von operativen, konservativ medikamentösen und konservativ physiotherapeutischen Therapieansätzen bei unterem Rückenschmerz (low back pain, LBP) verglichen wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass entgegen aller Empfehlungen aus den Leitlinien die Zahl der operativen Versorgungen bei LBP in den USA extrem zugenommen hat. Die dadurch entstandenen Kosten liegen im zweistelligen Billionenbereich und übersteigen bei weitem die Summe, die z. B. in Krebsforschung investiert wird. Dabei ist laut Studien der Benefit der operativen Therapie (hier: lumbale Fusion) äußerst fragwürdig und eine Operation birgt große Risiken hinsichtlich weiterer Beeinträchtigungen der betroffenen Personen bis hin zum Tod. Tim zitierte eine Studie von Jarvik et al. [2], die darstellt, dass für Menschen mit LBP die Wahrscheinlichkeit, operiert zu werden, um das Dreifache steigt, alleine durch die Tatsache, dass sie ein MRT (anstelle einer einfachen Röntgenuntersuchung) erhalten.

Interessant im Kontext der Diskussion zum Erstkontakt durch Physiotherapeuten in Deutschland war auch eine Studie von Gellhorn et al. [1], laut der bei LBP eine frühe physiotherapeutische Intervention die Anzahl der notwendigen Arztbesuche, Injektionen und Operationen um jeweils 40–50% reduziert. Wir fanden diese Zahlen faszinierend und haben eine Arbeitsgruppe zum Thema gebildet, die untersuchen soll, ob es vergleichbare Daten zur Situation in Deutschland gibt und wie diese ausfallen.

Im anschließenden Hauptteil der zweitägigen Veranstaltung ging es um die manipulative Therapie im Bereich der HWS und LWS. Tim referierte über Risiken, Vorsichtsmaßnahmen und Indikationen von Manipulationen. In diesem Zusammenhang kann auf das Cervical Screening Document der International Federation of Orthopaedic Manipulative Physical Therapists (IFOMPT) verwiesen werden [3]. Tim stellte zur Thematik einige Clinical Prediction Rules (CPR, klinische Vorhersageregeln) vor, an deren Entwicklung er teilweise selbst mitgewirkt hat. CPRs beschreiben die Wahrscheinlichkeit, ob ein Mensch mit einer beschriebenen Symptomatik von einer spezifischen Intervention profitieren wird. Das Vorhandensein bestimmter Faktoren (z. B. Symptome nicht länger als 38 Tage, positive Erwartungshaltung gegenüber einer Manipulation, mehr als 10° Unterschied der zervikalen Rotation im Rechts-links-Vergleich, Schmerz bei mittzervikalen posterior-anterioren Mobilisationen) erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Intervention (z. B. zervikale Manipulation) hilft (positive Likelihood ratio 13,5, wenn 3 der 4 Faktoren zutreffen).

Im praktischen Teil überzeugte Tim durch eine klar aufbereitete Demonstration der Techniken. Im Vergleich zu den Manipulationstechniken, die den meisten von uns bekannt waren, zeichnen sich die von ihm unterrichteten Techniken durch ihren geringen Krafteinsatz aus. Die Möglichkeit, Manipulationen mit derart geringem Kraftaufwand durchzuführen, wird manchem Teilnehmer sicher einen neuen Zugang zu den vorher ungeliebten Manipulationen eröffnen.

Immer wieder erfreulich ist es, dass die Referenten neben ihren wissenschaftlichen und klinischen Qualitäten gleichzeitig großartige Menschen sind. Wie seine Vorgänger in den vergangenen Jahren erwies sich Tim, der mit seiner Frau Sue anreiste, als ungemein humorvoll und interessiert. So entstanden spannende Gespräche und Diskussionen. Besonders angenehm ist dabei, dass die Kommunikation bis heute anhält und Tim allen Teilnehmern einen kostenlosen Probezugang zum Webportal Evidence in Motion (www.evidenceinmotion.com) mit Informationen zu lumbaler Spinalkanalstenose eingerichtet hat.

Hinterher zweifeln wir immer wieder, ob wir mit den Gastdozenten im kommenden Jahr dieses Level noch halten können. Bisher waren diese Zweifel letztlich unbegründet, denn jedes Jahr entwickelt sich die JHV mit der dazugehörigen Fortbildung zu einem absoluten Jahres-Highlight. An dieser Stelle können wir schon verkünden, dass uns nächstes Jahr mit Trudy Rebbeck von der University of Sydney/Australien wieder eine exzellente Referentin beehren wird (Termin: September 2014; weitere Infos unter: www.dvmt.org).