Z Geburtshilfe Neonatol 2014; 218(4): 174-176
DOI: 10.1055/s-0033-1362674
Geschichte der Perinatalmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wärmetherapie – Geräte zum Nachbrüten

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Publication Date:
20 August 2014 (online)

„Das Frühgeborene ist thermolabil, es ist noch unfähig, sich gegen Abkühlung oder Überhitzung zu wehren ... Angesichts der vielen Gefahren, die der Frühgeburt durch die Außenwelt drohen, hat man schon frühzeitig versucht, das intrauterine Milieu auch im extrauterinen Leben nachzuahmen.“

Was der berühmte Pädiater Guido Fanconi (1892–1979) vor 60 Jahren geschrieben hat, wussten zwei Metzger schon vor 900 Jahren. Zwei gestresste Neugeborene, aus denen später der Bischofvon Konstanz Gebhard und der Abt von St. Gallen Burkhard wurden, hatten sie in die Bäuche frisch geschlachteter Schweine gelegt, um sie warm zu halten. Mit ihrer Berufserfahrung wussten die Metzger, dass Schweine nach dem Schlachten am längsten die Wärme halten.

In den folgenden Jahrhunderten blieb das Prinzip des Warmhaltens oberstes Gebot. Aus der Zoologie war die mütterliche Wärme für das Gedeihen junger Tiere als Notwendigkeit erkannt worden. Das wärmende Nest, das Nachbrüten (Hudern) bei Vögeln wie auch das Leben im Bauchsack der Beuteltiere waren Beispiele, die die Menschen seit Jahrhunderten beobachtet hatten.

Seit dem Jahre 1864 wurde in der Frauenklinik zu Leipzig eine Wärmewanne eingesetzt, die von Carl Sigmund Franz Credé (1819–1892) konstruiert worden war. Es war eine doppelwandige Wanne, in die heißes Wasser (a) zugefügt wurde und die Wärme abgab. War das Wasser abgekühlt, wurde es über einen Hahn (b) abgelassen und durch warmes Wasser wieder ersetzt. ([ Abb. 1])

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Abb. 1 Wärmewanne nach Credé

Im Pariser Palais Rameau war 1878 eine Ausstellung über Brutapparate für Federvieh zu sehen gewesen, auf der „Couveuses pour oeufs“ gezeigt wurden. Der Geburtshelfer Étienne Stéphane Tarnier (1828–1897) hat sich diese Konstruktionen angeschaut und wohl als Erster die Idee gehabt, das Prinzip dieser Apparate zum „Nachbrüten“ für zu früh geborene und lebensschwache Kinder zu nutzen. Zusammen mit dem Techniker Odile Martin baute er eine „Couveuse pour enfants nouveaunés“. Damit war auch die Bezeichnung „Couveuse“ in die Medizin eingeführt. Das war im Jahre 1881.

Ein Jahr zuvor war Tarnier zu Besuch bei Credé in Leipzig und hatte dort auch dessen Wärmewanne gesehen. Daraufhin schrieb „Die Tägliche Rundschau“ in Berlin am 10. November 1882, dass die von Tarnier konstruierte Couveuse nichts anderes sei als eine „Verwerthung der in Leipzig erworbenen Kenntnisse für die Pariser Maternité“.

Da war also sofort wieder die alte deutsch-französische Feindschaft angedeutet zu erkennen.

Das Prinzip der Credéschen Wanne beruhte auf einem offenen Raum, in dem die Wände der Wanne die Wärme des heißen Wassers nach außen abgaben.

Tarniers Couveuse war dagegen ein permanentes Warm-Luft-Bad. Es wurde dem Kind in einem geschlossenen Raum eine zirkulierende, erwärmte Luft angeboten. Die Konstruktion bestand aus zwei Teilen. Der untere Teil umschloss einen Behälter für warmes Wasser, der obere den Korb für das Kind. Um beide Teile lief ein freier Raum, in dem die durch das erwärmte Wasser warm gewordene Luft zirkulierte. Die Quelle für die Erwärmung des Wassers befand sich außerhalb der Couveuse und konnte mit Gas, Spiritus oder Petroleum betrieben werden. ([ Abb. 2])

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Abb. 2 Couveuse nach Tarnier

Diese Couveuse folgte also einem ganz anderen Prinzip als die Wärmewanne von Credé, bei der das Kind Außenluft atmete und nur die Körpertemperatur beeinflusst wurde und bei der in kürzeren Abständen das abgekühlte Wasser wieder durch warmes ersetzt werden musste.

Ähnlicher dem Tarnier’schen Prinzip war die 1882, also ein Jahr nach Tarnier, von Franz v. Winckel (1837–1911) konstruierte Wanne, die ein permanentes Warmwasserbad mit einer Temperatur um 38 Grad darstellte. „In allen Fällen“, schrieb v. Winckel, „wo der Verdacht einer auch nur geringen Atelektase vorliegt, lege ich das Kind in die von mir construierte Wanne für permanente Bäder mit frappantem Erfolg.“ Die Idee war, den physiologischen Bedingungen des Foetus in der Gebärmutter möglichst nahe zu kommen durch das protrahierte Verweilen im Wasser. ([ Abb. 3])

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Abb. 3 Wärmewanne nach Winckel

Der Klempner Adolph Schultze hat für v. Winckel in Dresden eine Wanne aus Zinkblech gebaut. Am Kopfende ragte eine schalenförmige Vertiefung für die Lagerung des kindlichen Kopfes über den Wannenrand hinaus. Eine luftdurchlässige Kappe umgab den Kopf. ,,Alle Stunde wurde warmes Wasser nachgegossen, nachdem das abgekühlte Wasser mit den Excreten des Kindes über zwei Hähne nahe dem Boden der Wanne abgelassen worden war. Alle 6–8 Stunden wurde das Wasser vollständig gewechselt.“

Wegen der Verunreinigung des Badewassers sowie der etwas gezwungenen Lage des Kindes bestanden Bedenken bei vielen Geburtshelfern, so dass diese Wanne keine große Verbreitung in den Kliniken fand. Für eine Langzeitbehandlung von Frühgeburten empfahl v. Winckel die Couveuse von Tarnier.

Im gleichen Jahr, als Tarnier seine Couveuse der Öffentlichkeit vorstellte, wurde im Lying-in-Hospital in London ein von Dr. Clement Godson entworfener Inkubator aufgestellt, der nach dem gleichen Prinzip funktionierte, nur zusätzlich eine automatische Temperaturregelung bot. Angefeuchteter Mull, durch den die zirkulierende Luft floss, sorgte dafür, dass das Kind sich in einer feuchtwarmen Luft befand.

Zehn Jahre nach Tarnier behauptete Dr. Alexander Lion, den Inkubator erfunden zu haben. Im Hause 26, Boulevard Poisonnière in Paris hatte er eine „Wohltätige Baby-Inkubator-Gesellschaft“ gegründet. Zur Besichtigung zahlte jeder Besucher 50 Centimes Eintritt. Im ersten Jahr kamen mehr als 50 000 Besucher, die die Kinder in den Brutkästen besichtigen wollten. Dr. Lion war zufrieden, seine Erwartungen waren weit übertroffen worden. Dass Tarnier zehn Jahre vor ihm diese Konstruktion einer Couveuse in seiner Klinik so benannt und in Betrieb genommen hatte, verschwieg Dr. Lion. Er ließ „die Wärmekammer“ in großer Stückzahl in Lizenz produzieren und über medizinische Kaufhäuser vertreiben. ([ Abb. 4])

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Abb. 4 Wärmekammer nach Lion (im Katalog des „Medicinischen Waarenhauses“, oben links)

Dass man mit den Brutkästen, in denen Frühgeborene wie Tiere im Zoo bestaunt wurden, viel Geld einnehmen konnte, hatte 1886 der Direktor der ,,Maternité“ in Paris Prof. Pièrre-Constant Budin (1846–1907) frühzeitig erkannt.

Zur Weltausstellung in Berlin schickte er seinen Assistenten Martin Couney mit sechs Inkubatoren nebst Inhalt und Pflegekräften. Die „Kinderbrutanstalt“, unter dieser Bezeichnung war sie im Katalog verzeichnet, wurde zum großen Erfolg. Dr. Couney war auf den Geschmack gekommen und inszenierte in New York eine „Coney Island Incubator Show“, die von 1907 bis 1940 lief. Sie war eine Hauptattraktion des Vergnügungsparks. Die Einnahmen wurden nach Angaben von Dr. Couney zur technischen Weiterentwicklung der Inkubatoren eingesetzt. Bei den Ausstellungen stand das Pflegepersonal eher wie Museumswächter in strammer Haltung neben den Inkubatoren. Holzbarrieren hielten die Besucher auf Abstand. ([ Abb. 5])

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Abb. 5 „Brutkästen“ nach Budin und Couney (auf der „Coney Island Incubator Show“, New York)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Aufzuchtresultate mit diesen Apparaten trotz gewisser Weiterentwicklung schlechter als bei einer Pflege der Kinder in gut geheizten und gelüfteten Zimmern. Die europäische Pädiatrie gab die Couveuse damals weitgehend auf.

In den USA wurden in dieser Zeit dank fortgeschrittener Technik besser und effizienter funktionierende Inkubatoren konstruiert, die dann besonders nach dem II. Weltkrieg auch unter der Bezeichnung „Isolette“ große Verbreitung in den Kinderkliniken fanden. ([ Abb. 6]) Alle Handlangungen zur Versorgung der Kinder erfolgten durch Lamellenmembranen. Temperatur, Feuchtigkeit und Sauerstoffgehalt der Luft konnten entsprechend den Erfordernissen reguliert werden.

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Abb. 6 Neuzeitliche „Isolette“

Der technische Fortschritt der Inkubatoren trug dazu bei, die Grenze der Lebensfähigkeit der Frühgeborenen bis zum heutigen Tag abzusenken.

Volker Lehmann