Z Geburtshilfe Neonatol 2013; 217 - V07_5
DOI: 10.1055/s-0033-1361231

Von der „Hebammenkunst“ zur akademischen Disziplin – Geschichte der Geburtshilfe im 19. Jahrhundert

M Metz-Becker 1
  • 1Philipps-Universität Marburg, Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft, Marburg, Germany

Im Zuge der Aufklärung konnte im 18./19. Jh. auch die Akademisierung der Medizin vorangetrieben werden. Das Fach Geburtshilfe etablierte sich in sog. „Accouchieranstalten“, in denen zum ersten Mal Lehre am Krankenbett stattfand. Die hier ausgebildeten Ärzte hatten – vor dem Hintergrund der Aufklärung – den Fortschritt der Geburtsmedizin im Blick, den sie im Einsatz chirurgischer Instrumente zu erkennen meinten. Der natürliche Geburtsvorgang, wie ihn Hebammen zu leiten wussten, wurde nun oftmals als pathologisch und die Geburt als Risiko, im Sinne einer krankhaften Veränderung, definiert.

Mit den chirurgischen Eingriffen stieg das Kindbettfieber in den Gebäranstalten dramatisch an. Erst durch den Arzt Semmelweis und die später auf seinen Erkenntnissen aufbauenden Maßnahmen zu Aseptik und Antiseptik konnte der Gefahr entgegen gewirkt werden.

Der Hebammenberuf erfuhr während dieser Zeit entscheidende Veränderungen. Hebammen waren von der Akademisierung des Faches ausgeschlossen, da das Frauenstudium erst 1908 eingeführt wurde. Es entstanden Hebammenlehranstalten, in denen die Frauen nun von Ärzten unterrichtet wurden, die – paradoxerweise – ihr Wissen zunächst durch Hebammen erworben hatten, da die erste Generation der „Acchoucheure“ praktisches Wissen nur bei Hebammen erlernen konnte, in deren Händen die Geburtshilfe bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich lag.

Von nun an setzte eine Hierarchisierung der Geburtshilfe ein: Die Normalgeburt war Aufgabe der Hebamme, der pathologische Geburtsverlauf erforderte die „Hülfe der Kunst“ (Osiander), also den Einsatz akademischer Medizin.

Bis sich allerdings die Geburt in der Klinik durchsetzen konnte, vergingen weitere hundert Jahre. Noch am Vorabend des Ersten Weltkrieges begab sich nur ein Prozent aller Frauen zur Geburt in ein Krankenhaus.

Gegenwärtig liegt die außerklinische Geburtshilfe deutschlandweit bei etwa 5%.