Gesundheitswesen 2014; 76(11): 722-726
DOI: 10.1055/s-0033-1361181
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verweildauer in vollstationärer Dauerpflege 1999–2011: Eine bevölkerungsbezogene Analyse

Length of Stay in Institutionalised Long-Term Care 1999–2011: A Population-based Study
D. Pattloch
1   Deutsches Rheuma-Forschungszentrum, Programmbereich Epidemiologie, Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Januar 2014 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund und Ziel:

Vollstationäre Dauerpflege ist aus sozialstaatlicher Perspektive eine besonders teure Form der Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Aus diesem Grund zieht sie in Berichterstattung, Forschung und Prognose viel Aufmerksamkeit auf sich. Jedoch wurde die Verweildauer im Heim, die eine relevante Planungsinformation sein sollte, bisher nicht bevölkerungsbezogen untersucht. Der vorliegende Artikel schließt diese Lücke.

Methode:

Berechnet wird die bevölkerungsbezogene durchschnittliche Verweildauer im Trend der Jahre 1999–2011 unter Verwendung von Sterbetafeln und der Prävalenz von Heimpflege. Datengrundlage ist die amtliche Bevölkerungs- und Pflegestatistik. Die Lebenserwartung e(0) wird mittels Sullivan-Methode in je einen Abschnitt außerhalb und innerhalb vollstationärer Dauerpflege aufgeteilt. Der Abschnitt innerhalb von Heimpflege ist als Verweildauer interpretierbar.

Ergebnisse:

Männer in Deutschland 2011 erlebten durchschnittlich 5,5 Monate, Frauen hingegen 14,4 Monate in vollstationärer Dauerpflege. 1999 betrug diese Verweildauer noch 3,8 bzw. 11,8 Monate. Somit stieg sie seit 1999 bei beiden Geschlechtern an. Jedoch gab es bei den Frauen nach 2007 keinen Zuwachs mehr. Der Heimeintritt erfolgt in immer höherem Alter: Im Jahr 2011 bei Männern im Alter von 77,6 Jahren, bei Frauen im Alter von 81,7 Jahren, im Jahr 1999 bei Männern im Alter von 74,5 Jahren und bei Frauen im Alter von 79,9 Jahren. Männer verbringen durchschnittlich 0,6% ihrer Lebenserwartung in Heimpflege, Frauen 1,4%. Dieser Anteil betrug 1999 0,4% bei den Männern und 1,2% bei den Frauen.

Schlussfolgerung:

Das Monitoring vollstationärer Dauerpflege braucht sinnvolle zeitreihentaugliche Kennzahlen. Die Kennzahl Verweildauer beschreibt altersstandardisiert und hochverdichtet die Verhältnisse von Lebenserwartung und Prävalenz der Heimpflege im betreffenden Berichtsjahr. Erstmalig wird im vorliegenden Artikel die Verweildauer nicht nur bevölkerungsbezogen quantifiziert, sondern auch ihr Anstieg über die Zeit belegt (bei Frauen: Anstieg bis 2007). Die Zeitreihe sollte aus den amtlichen Statistiken regelmäßig fortgeschrieben werden.

Abstract

Background and Objective:

From the perspective of welfare economics, institutionalised long-term care (ILTC) is expensive and thus requires key figures. This article provides the population-based mean length of stay in ILTC, which is a meaningful measure for monitoring purposes.

Method:

The Sullivan method was applied to official statistics on population and long-term care between 1999 and 2011. This method splits up the life expectancy at birth into one part in and one part out of ILTC. The part in ILTC can be interpreted as length of stay.

Results:

In 2011, males in Germany experienced 5.5 months in ILTC, females 14.4 months. In 1999, the length of stay was 3.8 and 11.8 months, respectively. Thus, the length of stay in ILTC has increased over time. However, the increase regarding women stopped in 2007. Furthermore, the onset of ILTC has been protracted. In 2011, the mean age at the start of ILTC was 77.6 years (males) and 81.7 years (females). In 1999 the mean age was 74.5 years (males) and 79.9 years (females). In 2011, males spent 0.6% of their life expectancy in ILTC, females 1.4%. In 1999, this share was 0.4% (males) and 1.2% (females).

Conclusions:

The utilisation of ILTC needs to be monitored by meaningful key figures over time. The length of stay, as proposed here, provides information on life expectancy and ILTC prevalence collapsed into one measure. This article reports the length of stay and substantiates its increase over time (in women, the increase ended in 2007). It is recommended to regularly update the time series by using official statistics.

 
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