intensiv 2013; 21(06): 282
DOI: 10.1055/s-0033-1359742
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ich bin doch NUR Krankenschwester

Heidi Günther
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Publication Date:
08 November 2013 (online)

Beide schaden sich selbst, der, der zu viel verspricht, und der, der zu viel erwartet.
(Gotthold Ephraim Lessing)

Da bin ich wieder. Lange habe ich nichts von mir hören lassen. Ich war im Urlaub.

Einer der Nachteile, erst Ende August in den Urlaub zu gehen, war ohne Zweifel, dass ich mehrere Monate mit quälender Regelmäßigkeit gefragt wurde, ob ich schon im Urlaub war. Meist habe ich mit einem erweiterten „Nein noch nicht!“ oder mit einem erschöpften „Nein, aber bald!“ geantwortet. Während die anderen Kollegen braungebrannt und erholt aus ihren Urlauben wiederkamen, lief ich immer noch kalkweiß und einigermaßen genervt über die Station. Das hat sich nun aber umgekehrt, denn im Moment bin ich die Braungebrannte und Erholte und alle anderen freuen sich schon wieder auf den nächsten Urlaub und haben ihn meist auch bitter nötig.

Ich war, wie jedes Jahr, in Spanien. Dort leben Verwandte unserer Familie. Direkt am Strand – also: drei Wochen Sonne satt, Meer satt, gutes Essen und Trinken, viel Schlaf, viel gelesen, viel erzählt und gelacht. Einfach nur schön.

Nun sind meine Verwandten sehr kommunikative und höfliche Menschen und stellen mich allen möglichen Menschen in ihrem Umfeld als die Nichte (spanisch: Sobrina) aus Deutschland vor. Immer mit dem kleinen Nachsatz: „… sie ist Krankenschwester!“ (spanisch: Enfermera). Und dann gibt es genau drei Möglichkeiten, wie mein Gegenüber reagiert.

Entweder werden mit leichter Empörung in der Mimik abenteuerliche Erlebnisse mit Krankenschwestern und Ärzten bei diversen Krankenhausaufenthalten geschildert und meist kommt unser Berufsstand dabei nicht allzu gut weg.

Oder man stellt mit leichter Mitleidsmiene fest, was für ein schwerer, wichtiger Beruf das sei und diese Feststellung endet wahlweise mit: „… ich könnte das nicht …“ oder aber: „… einer muss es ja machen …“.

Und zu guter Letzt, dafür aber die häufigste Reaktion: Es werden mir ganz spontan vergangene oder aktuelle Krankheitsverläufe geschildert. Mein Interesse und meine Geduld sind da eher begrenzt, die Erwartungshaltung des anderen offensichtlich eher hoch.

Menschen, die mich schon aus den vorhergegangenen Besuchen kennen, haben sich scheinbar auf meinen Besuch vorbereitet. Da werden mir Befindlichkeiten geschildert, Körperteile ausgepackt und ausführlich gezeigt und die Medikamente, die spanische Ärzte im letzten Jahr verschrieben haben, müssen besprochen werden. Ich versuche in Endlosschleife mitzuteilen, dass ich kein Arzt bin. Ich bin NUR Krankenschwester! Das macht gar nichts. Ein Herr schilderte mir ausführlich seine Probleme mit den Nasennebenhöhlen und zeigte mir ein Antibiotikum, dass er noch von einer anderen Erkrankung übrig hatte. Ob ich das kenne und er es nehmen könne? Ich konnte nur bestätigen, dass ich dieses Medikament kenne, aber ob es für seine Nebenhöhlen das richtige Medikament sei, entzieht sich meiner Kenntnis. Es hilft mir auch nicht weiter, wenn ich betone, dass ich in einer orthopädischen Klinik arbeite und keine Ahnung von HNO habe. Der Herr hat dann mal die Antibiose genommen und stand zwei Tage später mit einem Ekzem auf der Haut und einer alten Tube Cortisoncreme in der Hand vor der Tür. Nein, auch von Dermatologie habe ich keine Ahnung! Ich habe nur auf das Verfallsdatum hingewiesen (8/2010) und einen Arztbesuch empfohlen. Ob er jemals zum Arzt gegangen ist, weiß ich nicht. Ich habe mich den Rest meiner Urlaubszeit vor ihm versteckt.

In Deutschland sind etwa 58.000 Arzneimittel zugelassen und die Zahl der möglichen Erkrankungen weiß wahrscheinlich niemand so genau. Aber von mir, die NUR Krankenschwester ist, werden offensichtlich schon allumfassendes Wissen, diagnostisches Feingefühl und therapeutische Erfolge erwartet.

Andererseits muss ich schon einräumen, dass ich ja selbst dazu neige, zum Beispiel einem Tierarzt, Kfz-Mechaniker, Maler oder Steuerberater, wenn ich ihn denn kennenlerne, mit Fragen löchern zu wollen.

Also, alles halb so schlimm. Erholt habe ich mich dennoch sehr gut.

Bis zum nächsten Mal!

Ihre

Heidi Günther