Der Klinikarzt 2013; 42(9): 383
DOI: 10.1055/s-0033-1358588
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wie die Globalisierung der Wirtschaft einzelne Patienten trifft

Achim Weizel
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Oktober 2013 (online)

Seit ungefähr einem Jahr tauchen in regelmäßigen Abständen Meldungen mit immer ähnlichem Inhalt auf: Lieferengpässe für humane Arzneimittel. Ein Blick auf die aktuelle Homepage des BfArm liefert eine eindrucksvolle Liste von Arzneimitteln, die augenblicklich nicht verfügbar sind, bei einigen von ihnen ist auch offensichtlich nicht absehbar, wann es wieder zu einer Lieferung kommen wird. Unter den Arzneimitteln finden sich zum Beispiel Mecasermin, Fosfomycin, Bleomycin, Vinblastinsulfat, Fomepizolhemisulfat, Tetracosactid, BCG und Ibuprofen i.v. Es sind also keineswegs nur exotische oder sehr seltene Arzneimittel, die hier fehlen. Grundsätzlich haben die Pharmafirmen den Auftrag, alle zugelassenen Arzneimittel kontinuierlich bereitzustellen. Dies ist offensichtlich nicht immer in vollem Umfang möglich.

In der Diskussion finden sich 2 Lager, die ihre Argumente austauschen; einerseits die Verbraucher, vertreten durch Fachgesellschaften wie zum Beispiel die DGK (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie) und die Apothekerverbände. Die Herstellerseite vertritt in der Regel der vfa (Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V.), der die forschenden Pharmafirmen repräsentiert.

Über die Gründe für die angesprochene Problematik sind sich beide Parteien einig. Sie haben ihre Ursache in dem Preisdruck auf dem Pharmamarkt. Man geht davon aus, dass 70 % der Arzneimittel, die im Rahmen der GKV verschrieben werden, heute von Generikaherstellern stammen. Im Rahmen des globalen Wettbewerbs unter den Generikaherstellern haben viele dieser Firmen ihre Produktion zu Lohnherstellern in Asien ausgelagert. In vielen Fällen werden dabei auch unterschiedliche Firmen von einem Hersteller beliefert. Kommt es dort zu Lieferschwierigkeiten, ist gleich ein größeres Segment von Firmen betroffen.

Als Ursache für die Lieferengpässe werden in der Regel 2 hauptsächliche Gründe angegeben (BfArM): Probleme bei der Herstellung (häufigster Grund) sowie vermehrte Nachfrage. Bei der Herstellung stehen Kontaminationen mit Pilzen und Bakterien im Vordergrund.

Während über die Ursachen der Arzneimittelengpässe Einigkeit besteht, gehen die Meinungen über die zu ergreifenden Maßnahmen weit auseinander. In den USA gibt es ein offizielles Register für die nicht zur Verfügung stehenden Mittel, ähnliches gibt es in Deutschland nur auf freiwilliger Basis.

Eine Bevorratung (Nationale Arzneimittelreserve) wird in Deutschland auch abgelehnt. Hier besteht die Gefahr, dass Hersteller auf die Zulassung wenig rentabler Arzneimittel von vorneherein verzichten, um Kosten zu sparen.

Die Problematik ist aber nicht abstrakt, sondern ist täglich in den Kliniken präsent. Die Zahl der nicht verfügbaren Mittel nimmt ständig zu. Die Klinikapotheker versuchen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln adäquaten Ersatz zu finden. Dies bedeutet einen großen Zeitaufwand in der Apotheke, aber nicht nur dort. Ärzte und Pflegepersonal werden ständig mit neuen Präparaten konfrontiert (teilweise fremdsprachige Gebrauchsanweisungen), was auch auf Station zu Verunsicherung und zusätzlichem Zeitaufwand führt. Fälle, bei denen keine Alternativen gefunden werden, sind erfreulicherweise selten.

Insgesamt ist die Situation für alle Beteiligten – Pharmaindustrie, Apotheker, Ärzte, Pflegepersonal und Patienten – extrem unerfreulich.

Das Dilemma fasst eine Klinikapothekerin wie folgt zusammen: „Es muss sich etwas ändern, aber keiner weiß wie.“