Orthopädie und Unfallchirurgie - Mitteilungen und Nachrichten 2013; 02(05): 566
DOI: 10.1055/s-0033-1358418
Recht und Wirtschaft
NACHGEFRAGT: PATIENTENRECHTEGESETZ
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie weit reicht die Aufklärungspflicht?

J. Neu
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Publication Date:
11 October 2013 (online)

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In der OUMN vom Juni 2013 ist „Ein erster Überblick“ zum Patientenrechtegesetz von Johann Neu, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen, erschienen. Daraufhin erhielten wir einen Leserbrief von Dr. Achim Schröder aus Bad Rothenfelde, in dem er von Unklarheiten bzw. Unsicherheiten zum Thema Aufklärung schreibt und um Präzisierung bittet.

In dieser Hinsicht bringt das Patienten­rechtegesetz nichts Neues, sondern greift lediglich die ständige Rechtsprechung auf. Schon 1990 hat die Bundesärztekammer die seinerzeit vorhandene Rechtsprechung in Empfehlungen zur Patientenaufklärung1 zusammengefasst: „Die Einwilligung ist zu jedem diagnostischen oder therapeutischen Eingriff in die körperliche Integrität notwendig, also nicht nur zu Operationen, sondern zum Beispiel auch zu Injektionen, Transfusionen, Blut- und Gewebeentnahmen, Bestrahlungen, Spiegelungen, Einnahme von Medikamenten. Allerdings erfordert nicht jede ärztliche Behandlungsmaßnahme eine ausdrückliche Aufklärung und Einwilligung. Die Einwilligung wird (bei einfachen Behandlungsmaßnahmen der täglichen Praxis, zum Beispiel Verabreichung von Medikamenten ohne gravierende Nebenwirkungen) stillschweigend erteilt, wenn der Patient erkennt und widerspruchslos hinnimmt, was mit ihm geschieht“.

Beispiele zur Medikamentenverordnung aus der Rechtsprechung:

  • Hat ein Medikament das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen, muss der Arzt persönlich über diese aufklären und darf nicht nur auf die Gebrauchsinformation des Pharmaherstellers verweisen. Dabei ist es unerheblich, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führt.2

  • Soll im Rahmen der Behandlung ein neues Medikament zum Einsatz kommen, so ist eine vorherige Aufklärung auch dann notwendig, wenn zunächst nur ermittelt werden soll, ob das Medikament überhaupt anschlägt. In einem solchen Fall darf die Aufklärung nicht deshalb unterbleiben, weil das abgesetzte Medikament in Bezug auf ein bestimmtes Risiko gefährlicher war als das neue Medikament. Das gilt auch, wenn vor Gabe des alten Medikaments über das Risiko aufgeklärt wurde.3

AUS DEM LESERBRIEF

Bei vielen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen besteht große Verunsicherung im Hinblick auf die Aufklärungspflichten. Beispielsweise ist davon die Rede, dass einwilligungsbedürftige medizinische Maßnahmen nicht nur Eingriffe in den Körper sind (also klassischerweise Operationen, Injektionen, etc.), sondern „grundsätzlich auch alle sonstigen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen im Rahmen der Behandlung.“ Diese Begriffsfassung ist schwammig und führt zu Spekulationen, ob tatsächlich für jedes neu verordnete Medikament und für jede angeordnete rehabilitative Maßnahme eine Aufklärung zu erfolgen habe. Also: vor Gabe von Diclofenac oral als Schmerzmittel, vor Anordnung einer vielleicht durchaus schmerzhaften Krankengymnastik, vor Verordnung von therapeutischem Nordic Walking (man könnte ja ausrutschen) mündlich und schriftlich aufklären?! Dies würde den täglichen Zeitrahmen und den rehabilitativen Ablauf komplett sprengen. Ich mag nicht glauben, dass das Patientenrechtegesetz dies beabsichtigt hat. Dennoch ist eine Präzisierung meines Erachtens dringend notwendig.

Dr. Achim Schröder
Bad Rothenfelde

Grundsätzlich ist der Arzt verpflichtet, den Patienten auf mögliche Gefahren hinzuweisen (das mögliche Ausrutschen beim therapeutischen Nordic Walking dürfte wohl eher nicht darunter fallen, ebenso wenig die mögliche Schmerzhaftigkeit einer Krankengymnastik). Der Arzt darf in der Regel davon ausgehen, dass der Patient nicht eine eingehende sachliche Unterrichtung über spezielle medizinische Fragen erwartet.4 Wenn dem Patienten seine Erkrankung, die Behandlungsbedürfnisse und deren Risiken im Großen und Ganzen bewusst sind, kann der Arzt – ohne zunächst weiter aufzuklären – erwarten, dass der Patient eventuell weitere und/oder vertiefende Fragen stellt.5 Im Falle eines Falles: Die Beweislast bei Aufklärungsproblemen liegt grundsätzlich auf der Arztseite!

RA Johann Neu

ZUM NACHLESEN

1 Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Patientenaufklärung, DÄBl. 1990,39 ff
2 BGH, Urteil vom 15.3.2005 – VI ZR 289/03
3 BGH, Urteil vom 17.4.2007 – VI ZR 108/06
4 BGH, Urteil vom 22.12.1987 – VI ZR 32/87
5 BGH, Urteil vom 14.3.2006 – VI ZR 279/04