Zahnmedizin up2date 2015; 9(04): 313-324
DOI: 10.1055/s-0033-1358146
Kinder- und Jugendzahnheilkunde
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation

Grundlagen, Ursachen, Präventionsansätze und Therapie
Richard Steffen
,
Norbert Krämer
,
Hubertus van Waes
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Publication History

Publication Date:
22 July 2015 (online)

Einleitung

Zahnentwicklungsstörungen mit Schmelz- und Dentinbildungsstörungen sind im Milchgebiss sowie auch im bleibenden Gebiss beschrieben worden [1]. Bei den Schmelzbildungsstörungen wird dabei zwischen Hypoplasie, Hypomineralisation und Hypomaturation unterschieden [2]. Eine Schmelzhypoplasie ist ein quantitativer Defekt, während Hypermineralisation und Hypomaturation qualitative Defekte sind, die durch Störungen während der initialen Verkalkung und auch während der anschließenden Schmelzreifung entstehen können [3]. Klinisch imponiert hypomineralisierter Schmelz durch:

  • veränderte Farbe

  • poröses Aussehen

  • verminderte Festigkeit gegen chemische und mechanische Einflüsse

Bei hypomineralisierten/hypomaturierten Zähnen kann es schon beim Durchbruch zu einem Abbrechen des Schmelzes bereits bei der ersten mechanischen Belastung kommen. Dadurch ist es klinisch nicht immer einfach, zwischen Hypoplasie und Hypomineralisation/Hypomaturation zu unterscheiden [4]. Hypomineralisationen werden in der 1. sowie in der 2. Dentition beschrieben. Sowohl beim Milchgebiss als auch bei den bleibenden Zähnen stellen Hypomineralisationen ein erhebliches Kariesrisiko dar [3]. Beim häufigsten Erscheinungsbild hypomineralisierter Zähne sind die 1. bleibenden Molaren und die bleibenden Inzisiven betroffen.

Weerheijm [3] legte 2003 zusammen mit einer Arbeitsgruppe der European Academy of Pediatric Dentistry (EAPD) die Kriterien fest, die seither das Krankheitsbild der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) definieren. Jedoch sind auch MIH-ähnliche Schmelzdefekte an anderen bleibenden Zähnen, z. B. den 2. Molaren oder den Eckzähnen, und auch bei Milchmolaren beschrieben.

Hypomineralisationen an Milchmolaren werden im Englischen als „Deciduous Molar Hypomineralization“ (DMH) [5] und im Deutschen als „Milchmolaren-Hypomineralisation“ (MMH) bezeichnet [6]. Der Schwere- und Befallsgrad variiert bei der MIH und MMH stark. So können bei MIH zwischen einem und allen 1. Molaren oder Inzisiven befallen sein; die Defekte schwanken von leichten bis starken Opazitäten über Schmelzabbrüche bis hin zu sehr schmerzhaften Hypersensibilitäten, die auch bei scheinbar intakten Oberflächen auftreten können [7].

Kinder mit MIH, die eine Behandlung benötigen, sind oft schmerzempfindlicher, haben einen größeren Behandlungsbedarf und entwickeln schneller tiefe Kariesläsionen. Zudem halten Restaurationen weniger lange [8].

Die Ätiologie von MIH ist immer noch nicht geklärt, aber es gibt verschiedene vermutete Auslöser, die mit größerer Wahrscheinlichkeit als (Mit-)Verursacher infrage kommen [9]. Über die Verbreitung von MIH in verschiedenen Ländern gibt es unterschiedliche Zahlen. Die Prävalenz von MIH schwankt je nach Untersuchung zwischen 2,8 und 40 % [10]. Berücksichtigt man die Bedeutung von Ätiologie und Prävalenz der MIH für die Therapie dieser Hypomineralisationen, ist es nicht verwunderlich, dass sich Empfehlungen hierzu sehr unterschiedlich gestalten [1], [5], [6].

Diese Arbeit soll einen aktuellen Überblick über die verschiedenen Aspekte der MIH liefern.

 
  • Literatur

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