Gesundheitswesen 2013; 75(11): 689-692
DOI: 10.1055/s-0033-1357154
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die soziale Dimension der Tuberkulose in der Stadt München

The Social Dimension of Tuberculosis in the City of Munich
C. Dreweck
1   Abteilung Infektionsschutz, Referat für Gesundheit und Umwelt, München
,
E. Kerner
1   Abteilung Infektionsschutz, Referat für Gesundheit und Umwelt, München
,
K. Güllich
1   Abteilung Infektionsschutz, Referat für Gesundheit und Umwelt, München
,
G. Halder
1   Abteilung Infektionsschutz, Referat für Gesundheit und Umwelt, München
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Publication Date:
27 November 2013 (online)

Zusammenfassung

Deutschland gehört zu den Niedriginzidenzländern für Tuberkulose. Die Zahlen in München zeigen jedoch, dass die Tuberkulose von besonderer Relevanz für die öffentliche Gesundheit bleibt. In München stagnieren die Tuberkulosezahlen seit 2010 bei 10 auf 100 000 Einwohner und liegen damit doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Ursache für die höhere Inzidenz in Großstädten ist die Bevölkerungsstruktur mit einem hohen Anteil von Migrantinnen und Migranten aus Ländern mit hoher Tuberkuloseprävalenz sowie von sozioökonomisch benachteiligten Menschen. München befindet sich als Me­tropolregion in einer starken Wachstumsphase. Zuwanderer kommen zunehmend aus Polen, Rumänien und Bulgarien. In München hat der Anteil der Tuberkulosepatienten, die im Ausland geboren sind, seit 2001 deutlich zugenommen. Er stieg in 10 Jahren von 49 auf 80 % im Jahr 2011. Bei Asylbewerbern oder Zuwanderern sind zur Sicherstellung des Behandlungserfolges oft intensive und kultursensible Therapiebegleitung sowie Hilfen beim Umgang mit anderen Behörden erforderlich. Der Anteil von Tuberkulosepatienten mit sozialen Problemen stieg seit 2006 von 37 auf 55 % im Jahr 2012. Der Aufwand für die soziale Betreuung wird immer komplexer. Eine ambulante Behandlung wurde bei 6 Immi­granten am Gesundheitsamt überwacht. Ein aktuelles Problem sind nicht krankenversicherte Unionsbürger. In Europa sind die Tuberkulosezahlen rückläufig. Alarmierend ist jedoch der hohe Anteil von Medikamentenresistenzen in Osteuropa. 15 der weltweit 27 Länder mit der höchsten Krankheitslast an multiresistenter (MDR) Tuberkulose entfallen auf diese Region. Patienten mit MDR-Tuberkulose sind in München noch selten. Die Zahl schwankt zwischen 1 und 4 Fällen pro Jahr. Allerdings dauert die Behandlung mindestens 20 Monate, zeigt häufig unerwünschte Arzneimittelwirkungen, ist wesentlich kostspieliger und weniger erfolgreich als die Standardtherapie. Jeder Tuberkulosepatient hat das Recht auf verlässliche Diagnostik und adäquate Behandlung auch über Grenzen hinweg. Es ist eine Herausforderung für den öffentlichen Gesundheitsdienst, den Behandlungserfolg auch im europaweiten und internationalen Kontext sicherzustellen.

Abstract

Germany is a low-incidence country for tuberculosis, but there is no time for complacency. With an annual incidence of 10 per 100 000 population the City of Munich counts twice as many cases of tuberculosis compared to the national average. Reasons for the concentration of tuberculosis in big cities include the high proportion of migrants from countries with high prevalence of tuberculosis and from socioeconomically disadvantaged populations. Munich’s population is growing fast and is expected to exceed 1.5 million in the near future. Migrants looking for employment now come predominantly from Romania, Bulgaria and Poland. The proportion of foreign born pa­tients with tuberculosis increased over the last ten years from 49 to 80 %. Asylum seekers and migrants need special attention from the public tuberculosis services. The proportion of tuberculosis patients with social problems increased from 37 to 55 % over the last 6 years. Demands for medical and social support have increased and the case management is increasingly complex. In 2011 the ambulatory treatment of 6 immigrants was supervised by the public health services in Munich. Increasingly, uninsured patients from southeastern states of the European Union need medical treatment. In Europe the overall number of tuberculosis cases is decreasing. The propor­tion of multidrug-resistant (MDR) tuberculosis in Eastern Europe is alarming. 15 of worldwide 27 countries with the highest MDR load are located in the European Region. In Munich the number of MDR cases is still low at 1–4 cases each year. But duration, cost and side effects of therapy are strong barriers to treatment success. All patients have the right to get adequate diagnostic work-up and effective treatment no matter in which country they reside. To realize this request with cross-border control and care, is a big challenge to the public health service in a global perspective.