Der Klinikarzt 2013; 42(8): 315
DOI: 10.1055/s-0033-1356890
Editorial
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Patientenwohl versus Wirtschaftlichkeit: ein lösbares Dilemma?

Matthias Leschke
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Publication Date:
02 September 2013 (online)

Noch vor wenigen Jahrzehnten war ein Arzt zuallererst und ziemlich ausschließlich seinem Patienten verpflichtet. Eine ganz persönliche Verpflichtung. Die Basis dafür war das Vertrauen des Patienten zu ihm. Heute ist der Arzt auch der Gesellschaft, selbstverständlich seinem Träger gegenüber verpflichtet. Etwas konkreter heißt das: der Ökonomie. Diese Verpflichtung steht jedoch, egal wie man es dreht und wendet, häufig dem Interesse des Kranken entgegen.

Patienten werden im Klinikbetrieb immer häufiger als Kunden verstanden. Krankenhäuser werden heute – mehr oder weniger – wie Unternehmen geführt. Sie betreiben Marketing, und Marketing ist nichts anderes als die hohe Kunst des Verkaufens. Die Marketingabteilung eines Krankenhauses hat die Leistung der Klinik zu „verkaufen“. Das ist nachvollziehbar, denn ein Krankenhaus muss sich gegenüber Mitbewerbern positionieren. Wenn Klinik A ein supermodernes MRT angeschafft hat, ist dies ein klarer Wettbewerbsvorteil. Klinik B im selben Einzugsbereich kann das nicht hinnehmen, denn die Kunden fordern modernste Medizintechnik, also wird Klinik B die Konkurrenzklinik bald mit einem noch leistungsfähigeren Gerät überholen. Das erwartet der Kunde, und der informiert sich im Netz darüber, was für Innovationen welche Klinik bietet. So jedenfalls stellen sich das die Marketingspezialisten vor.

Aber hat eine Klinik es wirklich mit Kunden zu tun? Als Kunden kann man womöglich Gesunde verstehen, die ihr äußeres Erscheinungsbild beim plastischen Chirurgen optimieren lassen wollen. Vielleicht auch noch einen Patienten, der sich ein neues Hüftgelenk einsetzen lassen will. Ein „echter“ Patient, ein Kranker, ein Leidender, wird jedoch von Gefühlen der Hilflosigkeit, Verzweiflung, Einsamkeit und Trauer heimgesucht. Er braucht Zuwendung. Im Klinikalltag wird menschliche Zuwendung heute oftmals mit dem Angebot an Hightech-Medizintechnik verwechselt. Ein PET-CT der aktuellsten Generation amortisiert sich, wenn man genügend Patienten in die Röhre schiebt. Zuwendung jedoch ist teuer. Zuwendung erfordert Menschen. Sind Pflegepersonal und Ärzte dafür ausreichend vorgesehen und geschult? Die Zahl der Pflegekräfte auf den Stationen ist gegenüber früher aus wirtschaftlichen Gründen ausgedünnt. Die Ärzte verbringen ihre Dienstzeit mit ausufernder Dokumentation, mit Management-Meetings, bei denen neue Geschäftsfelder eruiert und implementiert werden; sie kämpfen gegen den Rotstift des Controllers, der aus nachvollziehbaren Gründen Kostenminimierung im Sinn hat. Ob das alles aber dem Patientenwohl bzw. dem Wohl des Kunden – der kein Kunde ist, dient? Dem leidenden Patienten ist es gleichgültig, ob dem Klinikmarketing eine wirkungsvolle Hochglanzbroschüre gelungen ist oder ob man einen der Chefärzte wirkungsvoll in einer TV-Sendung platzieren konnte.

Zuwendung heißt, dem Patienten die Hand zu halten, sich seine Ängste anzuhören, sich zu ihm zu setzen. Schlicht: Zeit zu haben. Doch Zeit wird dem Arzt im Krankenhaus heute nicht mehr zugestanden. Zeit für den Patienten ist in den Behandlungspfaden nicht vorgesehen. Denn diese Zeit schlägt sich nicht positiv in den Casemix-Punkten nieder.

„Bei der Behandlung einer Krankheit ist der Arzt nur dem Patienten verpflichtet und niemandem sonst.“ Diese edlen Worte notierte der Philosoph Hans Jonas in seinem Buch „Prinzip Verantwortung“. Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Ärzte behandeln die Patienten, die Regie aber hat das Management. Es verantwortet dem Klinikträger gegenüber, ob die Klinik schwarze Zahlen schreibt oder rote. Letzteres ist der Fall, wenn sie für Investitionen und Personal mehr ausgibt, als sie von den Krankenkassen überwiesen bekommt. Klinikmanager sind in der Regel Kaufleute, die sich mit Bilanzen perfekt auskennen. Patientenversorgung wird da unter Marketingaspekten beurteilt. Das ist nicht zu kritisieren, denn das ist der Job eines Betriebswirts.

In der Kliniklandschaft findet man aber hier und da auch die seltene Konstellation, dass ein Klinikmanager gleichzeitig Arzt und Betriebswirt ist. Diese beiden Funktionen stehen sich scheinbar diametral entgegen. Die eine Seite engagiert sich für das Wohl des Patienten und weigert sich, an dessen Wohlergehen zu sparen. Die andere Seite votiert für die Finanzen der Klinik. Zumindest auf den ersten Blick. Der Arzt freilich sieht sich inzwischen gezwungen, die Wirtschaftlichkeit seiner Arbeit mit zu berücksichtigen, was ihm oft ein schlechtes Gewissen verursacht. Dennoch, er gibt nach. Auch in seinem eigenen Interesse. Der Arzt und Manager in einer Person muss freilich einen gewaltigen Spagat schaffen. Doch ein geschäftsführender Arzt kennt die Abläufe der medizinischen Arbeit aus eigener Erfahrung und kann so besser entscheiden, ob medizinische Maßnahmen sinnvoll sind oder nicht.

Wir leben heute auch im Krankenhausbereich in einem hochregulierten Wettbewerb. Dennoch kann man die Gesundheit nicht – wie in Amerika – dem freien Markt überlassen. Hier braucht es Regulative durch die Selbstverwaltungsorgane und den Gesetzgeber. Und es braucht ein Gespür für die ganz besonders heikle Arbeit in einem Krankenhaus. Ob Arzt oder Manager – wer eine Klinik erfolgreich in die Zukunft führen will, braucht großen Sachverstand, medizinischen und ökonomischen. Vor allem aber muss er Mensch bleiben. Und das wird heute leider oft nur behauptet, aber nicht gelebt und kommt im Klinikalltag oft zu kurz.