Endoskopie heute 2013; 26(4): 290-291
DOI: 10.1055/s-0033-1356270
Stellungnahme (Editorial)
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Notfallmanagement beim akut obstruierten linksseitigen Kolonkarzinom: Operation, Stents oder Sonden?

Emergency Management of Acute Obstructed Left-Sided Colon Cancer: Loops, Stents or Tubes?
K. Søreide
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Publication Date:
02 January 2014 (online)

Kolorektale Karzinome (CRC) manifestieren sich in bis zu 20 – 25 % als Notfallsituationen, am häufigsten als Obstruktion (zum Beispiel mit der Klinik eines Dickdarmileus) oder als Perforation (zum Beispiel mit der Klinik einer Peritonitis und Sepsis). Derartige Situationen bedeuten für den behandelnden Chirurgen eine Herausforderung, denn sie bedeuten für die Patienten schlechtere Kurz- und Langzeitbehandlungsresultate [1] [2] [3] Für Notoperationen ist die perioperative und die 30-Tage-Letalität bis zum Fünffachen erhöht. Für sehr alte Patienten beträgt die Letalität mehr als 40 % [2]. Die Notfalleingriffe werden in Abhängigkeit von der klinischen Situation als zwei- oder dreizeitige Operationen durchgeführt. Viele Patienten erhalten ein permanentes Stoma, da die Rückverlegung eines temporären Stomas mit einer relevanten Morbidität einhergeht. Das Ziel, einen onkologisch korrekten heilenden Eingriff durchzuführen, sollte bei jedem Patienten angestrebt werden. In der Palliativsituation hat das minimalinvasive Vorgehen mit Stenteinlage für die Symptomlinderung gute Kurz- und Langzeiteffekte [4].

Weil die Notfallchirurgie beim obstruierten linksseitigen Kolonkarzinom von Beginn an mit schlechteren Behandlungsergebnissen einhergeht, ist die Möglichkeit zur Verbesserung der Resultate durch eine Brücke zwischen Notfallsituation und einer potenziell elektiven (oder zumindest „semielektiven“) Behandlung verführerisch. Die Einlage von selbstexpandierenden Metallstents (SEMS) in das Kolon mit dem Ziel, die Kontinuität des Dickdarmlumens wiederherzustellen, das Kolon zu dekomprimieren und dadurch die Möglichkeit zur Durchführung einer geplanten Operation nach ausreichender Stabilisierung und Bildgebung zum Staging zu ermöglichen, hat Endoskopie-Enthusiasten zu vermehrten diesbezüglichen Anstrengungen motiviert. Einige Fallserien publizierten eine technische und klinische Erfolgsrate von über 90 % und eine Perforationsrate von etwa 4 %. Drei von vier randomisierten klinischen Studien wurden wegen einer unerwartet hohen Rate von technischem Versagen und von Perforationen im Vergleich zu den früheren Berichten gestoppt. Die niederländische Stent-1-Studie [5] wurde vorzeitig wegen einer hohen Perforationsrate von 13 % bei einem klinischen Erfolg von 70 % gestoppt. Eine zusammenfassende Analyse der randomisierten und kontrollierten Studien ergab: Technischer Erfolg 71 %, klinischer Erfolg 69 %, Perforationsrate 7 % [8]. Zur Erklärung dieser Resultate wurden folgende Einflussfaktoren angenommen: die Expertise der Endoskopiker (zu geringe Erfahrung in den beteiligten Häusern), der verwendete Stenttyp (die Mehrzahl der Perforationen wurden durch Wallflex-Stents verursacht), die Kriterien für den Studieneinschluss (komplette oder partielle Tumorobstruktion).

Weder die Perforationsrate ist zu vernachlässigen noch die Möglichkeit von Mikroperforationen.

Beide können den onkologischen Verlauf der Erkrankung beeinflussen. Außerdem kann die Ausbreitung von zirkulierenden Tumorzellen durch die Stenteinlage [9] nicht ignoriert werden, wie auch der gelegentliche Nachweis einer erhöhten perineuralen Invasion, ein ungünstiger Prognosefaktor, in der Stentgruppe [10].

Die Idee einer „bridge to surgery“ durch die Einlage von SEMS bei Kolonkarzinom-Obstruktion wurde deshalb in den letzten zehn Jahren begrüßt, diskutiert und abgelehnt.

Die Literaturevidenz zahlreicher kleiner Fallstudien ist schwach. Demzufolge ergaben in der Vergangenheit systematische Übersichten und Metanalysen nur einen bescheidenen Informationsgewinn mit hochgradigen Bias, zumal es sich meist um retrospektive Studien handelte. Die drei aktuellen Metaanalysen, die sich auf die bisher publizierten RCTs stützen [8] [11] [12], schlussfolgerten, dass die Stenteinlage gegenüber Notoperationen keinen Vorteil bringt. Deshalb haben sich die Voraussetzungen für den klinischen Stenteinsatz und das Design klinischer Studien verändert [13] [14].

Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Publikation von Yamada et al. [15] über den Einsatz einer transanalen Sonde (kolorektale Dennis-Sonde, Covidien, Tokyo, Japan) als Alternative zur präoperativen Dekompression durch SEMS zu sehen. Diese Erfahrungen haben sich ergeben, weil das japanische Gesundheitsministerium bis 2011 den Einsatz von SEMS nicht genehmigt (oder bezahlt) hatte, sodass die Einlage der kolorektalen Dennis-Sonde eine pragmatische Alternative gewesen ist. In einer Studie von Yamada an 1.142 Patienten mit CRC, die innerhalb von fünf Jahren operiert worden waren, zeigten 92 (8 %) eine akute kolorektale Obstruktion. Davon waren 66 im distalen Kolon lokalisiert und für eine Sondendekompression geeignet. 5 (8 %) mussten wegen der klinischen Symptomatik oder einer Perforation sofort operiert werden.

Der klinische Erfolg, definiert als der Anteil, der elektiv operiert werden konnte, betrug 86,4 %. Der Einsatz transanaler Sonden zur Dekompression ist nicht neu, aber nicht-asiatische Anwendungsberichte sind selten [16]. Die kolorektale Dennis-Sonde ist außerhalb von Japan kommerziell nicht zu erwerben. In Deutschland ist aber ein Alternativprodukt verfügbar [17].

Die Berichte über den Einsatz von Dekompressionssonden sind in der Regel retrospektive Analysen von konsekutiven Fallbeobachtungen mit geringen Patientenzahlen.

Man ist versucht, die auftauchenden Berichte über dieses „neuartige“ Instrument als eine Wiederholung der akkumulierten SEMS-Berichte zu betrachten, die nach einer Vielzahl von Fallserien in wenige RCTs mündeten, mit dem Ergebnis, dass der SEMS-Einsatz keinen echten Vorteil, sondern reale Risiken in sich birgt. Daraus ergibt sich die Frage, ob transanale Sonden wirklich einen Fortschritt darstellen oder nur eine Variation der SEMS-Erfahrungen. Hinsichtlich der Sicherheit ist eine Perforationsrate wie bei der SEMS-Einlage [8] zu registrieren. Eine hohe technische Erfolgsrate erfordert Erfahrung und trainiertes Personal wie für die SEMS-Einlage: 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr. Die Kosten für die Dennis-Tuben mögen im Vergleich zu SEMS geringer sein, aber ihre globale Verfügbarkeit ist nicht gegeben. Belege für die klinischen Erfolgsraten können nur gute prospektive Daten und besonders RCTs sein.

In einer Zeit der personalisierten Medizin müssen Nutzen und Risiken in jedem Einzelfall betrachtet werden und das praktische Handeln sollte auf der Basis der vorliegenden Gesamtevidenz erfolgen.

Die Ausarbeitung von Leitlinien für das Management von Patienten mit obstruktivem CRC durch Gesellschaften [18] wird durch die verfügbare geringe Evidenz behindert. Für die Erarbeitung der besten Behandlungspfade beim obstruktiven CRC benötigen wir eine höchstmögliche Evidenz durch gründliche prospektive, am besten randomisierte Studien. Bis dahin bleibt die offene Notfalloperation als mehrstufiger Eingriff eine gültige Option und sie ist kein Behandlungsfehler bei diesen Patienten.

 
  • Literatur

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