Gesundheitswesen 2013; 75 - A173
DOI: 10.1055/s-0033-1354138

Essen und Trinken im Alltag von Familien mit Kita-Kindern: Ergebnisse einer qualitativen Studie im Land Bremen

S Böttcher 1, I Jahn 1
  • 1Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH, Bremen

Hintergrund/Ziel: Verpflegung in Kindertagesstätten (Kita) dient zunächst dazu, die Kinder gut zu ernähren. Häufig sind damit jedoch weitere Ziele verbunden, wie z.B. Anregungen für ein möglichst gesundheitsförderliches Ernährungsverhalten und -handeln der Kinder zu geben und auch die Eltern bzw. die Familie mit einzubinden. Ziel der Studie war es, ein vertieftes Verständnis des alltäglichen Ernährungshandelns und -verhaltens in Familien zu gewinnen, wobei insbesondere Handlungsspielräume und Handlungsbarrieren interessierten. Ein weiterer Schwerpunkt war die Frage nach der Rolle der Kitas in Bezug auf die Entwicklung des Ernährungshandelns und -verhalten der Kinder und Familien aus der Sicht der Eltern. Daten/Methodik: Im Rahmen der Studie wurden halbstrukturierte Leitfadeninterviews mit Eltern von Kita-Kindern durchgeführt, die über 6 Kitas in Bremen und Bremerhaven rekrutiert wurden. Die Themen des Interviews waren Essen und Trinken im Familienalltag, Ernährungsverhalten und Wahrnehmung der Ernährungsaktivitäten in der Kita sowie die Gestaltung des Ernährungsalltags in den Familien: z.B. wer übernimmt welche Aufgaben, wie sehen typische Mahlzeitenmuster in Familien aus, welche Rolle spielen biographische Ereignisse und Verläufe als Einflussfaktoren. Die Auswertung der Interviews erfolgte mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Zielgruppen waren Familien aus sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Ergebnisse: Die Interviews wurden zwischen Juli 2010 und Juli 2011 durchgeführt. Es wurden 17 Interviews mit 16 Müttern und einem Vater geführt. Insgesamt wurden sehr vielfältige Lebensmittel und Speisen für alle Mahlzeiten (Frühstück, Mittag- und Abendessen, Zwischenmahlzeiten) genannt. In den Familien wurden die Mahlzeiten ähnlich zubereitet. Gleichwohl war die Bedeutung verschiedener kultureller und ethnischer Wurzeln sowie unterschiedlicher Einstellungen und Werte zu erkennen. Die Interviewpartner/innen berichteten, dass die Kinder, seitdem sie eine Kita besuchen, häufiger ihnen unbekannte oder zuvor abgelehnte Speisen essen und probieren. Dadurch, dass die Kinder zu Hause gezielt Wünsche nach Gerichten und Speisen äußerten, werde auch die familiäre Ernährung beeinflusst. Ebenfalls holten sich die Eltern in der Kita gezielt Anregungen für Gerichte: z.B. durch Nachfragen nach Rezepten, den Speiseplan oder ausgehängte Rezepte. Interviewpartner/innen berichteten ebenfalls, dass sie nach dem Kita-Vorbild zu Hause einen wöchentlichen Speiseplan eingerichtet und auch die Ess-Regeln aus der Kita übernommen haben, z.B. beim Essen sitzen bleiben. Es wurde berichtet, dass die Kinder zu Hause stärker in die Zubereitung eingebunden werden und ihnen mehr Eigenständigkeit zugetraut wird. Zugleich verneinten die Eltern einen Bezug zwischen dem eigenen Ernährungsalltag und den ernährungsbezogenen Aktivitäten der Kita. Veränderungen der familiären Ernährungsweisen wurden eher mit den eigenen ernährungsrelevanten Einstellungen und Veränderungen im Lebenslauf in Verbindung gebracht als mit Aktivitäten der Kitas. Diskussion/Schlussfolgerung: Einerseits beschreiben Eltern in den Interviews Veränderungen des kindlichen Ernährungsverhaltens und auch des familiären Ernährungshandelns und bringen diese mit den ernährungsbezogenen Aktivitäten der Kitas in Verbindung. Andererseits werden Veränderungen des Ernährungsalltags in den Familien eher biographischen Veränderungen, wie Mutterschaft oder Trennungen in Verbindung gebracht. Dies erscheint als Widerspruch. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass Veränderungen auf verschiedenen Ebenen angesprochen werden: einerseits kleinere, eher schleichende Veränderungen von Alltagsroutinen, wie Essregeln oder der Speiseplan, und andererseits größere Veränderungen der ernährungsbezogenen Alltagsstruktur, wie z.B. die Einführung von Familienmahlzeiten, die mit Veränderungen von Lebenssituationen einhergehen.