Gesundheitswesen 2013; 75 - A107
DOI: 10.1055/s-0033-1354084

Die Bedeutung der Entwicklungsaufgaben für die Erklärung des Gesundheitszustandes von Jugendlichen Beitrag für die AG: Kinder und Jugendliche

G Quenzel 1
  • 1Universität Bielefeld, Bielefeld

Einleitung: Zwar gilt die Lebensphase Jugend als relativ gesunder Lebensabschnitt, jedoch treten eine Reihe von psychischen und (psycho-)somatischen Symptome und Krankheiten vermehrt auf. Hier stellt sich die Frage, ob es in dieser Lebensphase Umstände, Ereignisse oder Anforderungen gibt, die ihr Auftreten begünstigen. Methodik: Präsentiert werden Ergebnisse eines Habilitationsprojekts, in dem die empirischen Ergebnisse der Jugendgesundheitsforschung systematisch im Hinblick auf die Bedeutung von Entwicklungsaufgaben (z.B. den sich verändernden Körper zu akzeptieren, Freundschaften zu Gleichaltrigen zu schließen, sich schulisch zu qualifizieren, etc.) zur Erklärung von Einschränkungen des gesundheitlichen Wohlbefindens aufgearbeitet werden. Deutlich wird, dass das Erklärungspotential der Entwicklungsaufgaben für den Gesundheitszustand erheblich ist. Ergebnisse: Im Vortrag wird zunächst der Frage nach den gesundheitlichen Folgen von Bewältigungsproblemen mit den Entwicklungsaufgaben des Jugendalters nachgegangen. Diskutiert werden Ergebnisse aus der nationalen und internationalen Jugend- und Gesundheitsforschung, die zeigen, dass Bewältigungsprobleme bei den Entwicklungsaufgaben das körperliche, psychische und soziale gesundheitliche Wohlbefinden stark beinträchtigen können. Beispielsweise schränkt eine im Vergleich zu den Gleichaltrigen frühe körperliche Entwicklung das psychische Wohlbefinden bei vielen weiblichen Jugendlichen stark ein, insbesondere wenn die psychischen Ressourcen zur Verarbeitung der Entwicklung noch unzureichend ausgeprägt sind. Fehlende oder unbefriedigende Freundschaften und hier insbesondere das Erlebnis wiederholter Zurückweisungen schränken ebenfalls das psychische Wohlbefinden bei vielen Jugendlichen ein. Das Gefühl, zurückgewiesen zu werden, steigert bei ihnen die soziale Ängstlichkeit, senkt das Vertrauen in die Zukunft und führt zu einer niedrigen Selbstkompetenz und einem niedrigen Selbstwertgefühl. Zweitens geht es um die Frage, wie die Bewältigungsformen der verschiedenen Entwicklungsaufgaben interagieren und wie sich diese Interaktionen auf das gesundheitliche Wohlbefinden auswirken. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Probleme bei der Bewältigung mehrerer Entwicklungsaufgaben auch zu verstärkten gesundheitlichen Problemen führen. Auf der anderen Seite können gesundheitliche Folgen durch Bewältigungsprobleme bei einer Entwicklungsaufgabe auch durch Erfolge in anderen Entwicklungsaufgaben kompensiert werden. Etwa können Einschränkungen im psychischen Wohlbefinden durch schulische Misserfolgserlebnisse durch eine starke Bindung an die Peers ausgeglichen werden. Im Vortrag werden einige typische Interaktionsmuster, differenziert nach Schicht und Geschlecht, vorgestellt. Drittens geht es um Möglichkeiten, das gesundheitliche Wohlbefinden von Jugendlichen durch Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention zu steigern. Hierfür müssen die Ursachen für Probleme bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in den Blick genommen werden. Unter Rückgriff auf die soziologische Rollentheorie werden deswegen typische Konfliktursachen bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben vorgestellt. Der Blick auf die Konfliktursachen bietet die Basis für umfassende Ansätze der Gesundheitsförderung, bei denen der Fokus nicht einseitig auf der Vermittlung von Wissen abstellt. Schlussfolgerung: Der Vortrag kommt zu dem Schluss, dass die gesundheitlichen Folgen von Bewältigungsproblemen von Entwicklungsaufgaben ein vielfach größeres gesundheitliches Risiko darstellen, als der jugendliche Nikotin- oder Alkoholkonsum. Probleme mit den Entwicklungsaufgaben wirken sich unmittelbar belastend auf das gesundheitliche Wohlbefinden aus und zeigen auch größere Wirkungen für spätere Lebensphasen. Um das gesundheitliche Wohlbefinden von Jugendlichen empirisch zu erfassen, zu erklären und Präventionsprogramme zu erarbeiten, sollte deswegen in der gesundheitswissenschaftlichen Diskussion die Bewältigungsprobleme mit den psychosozialen Entwicklungsaufgaben stärkere Berücksichtigung finden.