Gesundheitswesen 2013; 75 - A77
DOI: 10.1055/s-0033-1354059

Soziale Teilhabe fördert Patientensouveränität

O Bahrs 1, S Heim 1, A Dingelstedt 2, F Löwenstein 3
  • 1Universität Göttingen, Göttingen
  • 2Methodenzentrum Sozialwissenschaften der Universität Göttingen, Göttingen
  • 3Gesellschaft zur Förderung Medizinischer Kommunikation e.V. Göttingen

Einleitung: Als souverän gilt, wer es versteht, sicher und kompetent scheinbar selbstverständlich Herausforderungen zu meistern und dabei der Situation seinen Stempel so aufzudrücken, dass seine Macht nicht als unangemessen empfunden wird. Im Umgang mit Gesundheit und Krankheit beweist sich Souveränität darin, weitestmöglich die Bedingungen so gestalten zu können, dass eigenes Gesundsein hergestellt wird und eigenes Kranksein lebbar ist, ohne dass dabei die Patienten-Rolle dominant wird. Im Hinblick auf das Ziel der Förderung von Patientensouveränität ist damit zu fragen: Welcher Zusammenhang besteht zwischen abgrenzbaren Stadien im Gesundheits-Krankheitsverlauf und dem Bedarf an Patientenkompetenzen? Gibt es spezifischen Förderbedarf? Methode: Sekundärauswertung der im Rahmen der europäischen Gemeinschaftsstudie EUROCOM (1997 – 1999) videodokumentierten Konsultationen (n = 750) in deutschen Hausarztpraxen (n = 42) sowie ergänzender Informationen. Gruppenbildung bzgl. der Gesundheitssituation auf Grundlage der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (WONCA/COOP-Charts) mittels hierarchischer Clusteranalysen, exemplarische Falldarstellungen bzgl. Kompetenzen und Performanzen. Ergebnisse: Die alltägliche Erfahrung von Partizipationsmöglichkeiten und deren lebensgeschichtliche Fundierung bilden den Rahmen für die Ausprägung auch jener Kompetenzen, derer es als kompetenter Patient bedarf. Welche Kompetenzen jeweils konkret benötigt werden und welche es zu fördern gilt, ergibt sich aus der jeweiligen Gesundheitssituation und vor dem Hintergrund der Lebensaufgaben, die zu bewältigen sind. So kann nur im konkreten Fall entschieden werden, ob eher krankheitsspezifisches Wissen, allgemeine Bewältigungskompetenzen oder aber Angebote sozialer Unterstützung usw. Vorrang haben sollten. Patientensouveränität entfaltet sich daher häufig in der Begegnung mit professionellen Helfern im Gesundheitswesen. Dabei zeigt sich nicht selten, dass grundsätzlich verfügbare Kompetenzen in der konkreten Situation nicht umgesetzt werden können. Die jeweiligen Gegenüber – und hier kommt den Ärzten als in der Regel ersten Ansprechpartnern eine Schlüsselrolle zu – können z.B. durch Aktives Zuhören diese Diskrepanz vermindern helfen, ggf. die Erfahrung von Teilhabe überhaupt erst ermöglichen und damit einen Beitrag zur Ausbildung neuer Kompetenzen leisten. Sie können aber auch umgekehrt die Artikulation von Patientensouveränität behindern und zur Reinszenierung von Ohnmachtserfahrungen beitragen. Diskussion/Schlussfolgerung: Souverän als Patient/in zu handeln erfordert die Möglichkeit, die PatientInnenrolle flexibel gestalten zu können und diese nicht zur bestimmenden Struktur von Alltagsbewältigung und Identitätsbildung werden zu lassen. Strukturell gesehen müsste medizinische Versorgung insofern eingebettet sein in Gesundheitsförderung. Auf individueller Ebene setzt effektive Versorgung voraus, dass der Betroffene über eine zumindest implizite Vorstellung davon verfügt, wofür es sich für ihn lohnt, gesund zu sein bzw. wieder zu werden. Gerade weil die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Patienten und Behandlern durch Informationsflut bedroht wird, kommt dem Beziehungsaspekt in den Gesundheitsberufen besondere Bedeutung zu. (Die Förderung von) Gesundheit ist ansteckend.