Einleitung/Hintergrund: Durch die Priorisierung medizinischer Leistungen kann in den nächsten Jahrzehnten
eine qualitätsgesicherte Ressourcenverteilung in der gesetzlichen Krankenversicherung
gewährleistet und einer Über-, Unter- und Fehlversorgung entgegengewirkt werden. Durch
gezielte Prioritätensetzung ist es möglich, eine bessere und effizientere Versorgungsqualität
der Patienten zu erreichen. Das Teilprojekt „Kriterien und Präferenzen in der Priorisierung
medizinischer Leistungen: Eine empirische Untersuchung“ der DFG-Forschergruppe FOR655
„Priorisierung in der Medizin“ untersucht mittels Fokusgruppen, wie die medizinische
Versorgung aus Sicht der Bevölkerung hinsichtlich der Verteilung medizinischer Leistungen
in Zukunft gestaltet werden sollte. Ziel der Fokusgruppen ist es, Einstellungen der
Teilnehmer/innen hinsichtlich ihrer Präferenzen zu Eigenverantwortung als Priorisierungskriterium
medizinischer Leistungen zu analysieren. Daten/Methodik: Es wurden 13 Fokusgruppen (sechs homogene, sieben heterogene Gruppen) mit unterschiedlichen
Personengruppen (40 Personen aus der Allgemeinbevölkerung, 17 Ärzte/innen, 19 Pfleger/innen,
ein Vertreter der Krankenkassen) durchgeführt. Insgesamt haben 47 Frauen und 30 Männer
an den Fokusgruppen teilgenommen. Ihre Einstellungen zu Eigenverantwortung als Priorisierungskriterium,
erfasst durch Fragen zu risikoäquivalenten Krankenkassenbeiträgen (Risikofaktoren,
wie ungesunde Ernährung, kaum Bewegung, Alkohol- und Tabakkonsum) sowie zur Rückerstattung
von Versicherungsbeiträgen aufgrund einer gesunden Lebensweise (gesunde Ernährung,
viel Bewegung, Vermeidung von Alkohol- und Tabakkonsum) wurden untersucht. Darüber
hinaus sollten die Befragten die o.g. Risikofaktoren in Relation zueinander durch
unterschiedliche Beitragserhöhungen gewichten. Die Fokusgruppen wurden daraufhin vollständig
transkribiert und in Anlehnung an eine Literaturrecherche zu dem Thema Eigenverantwortung
inhaltsanalytisch ausgewertet. Ergebnisse: Die Analyse der wissenschaftlichen Literatur zu dem Thema Eigenverantwortung zeigt,
dass Eigenverantwortung im Zusammenhang mit Begriffen wie Selbstverschuldung, Selbstbestimmung,
solidarisches Verhalten, Sozialisation und/oder Diskriminierung diskutiert wird und
somit eine enorme Begriffsvielfalt herrscht. Die verschiedenen Aspekte wurden bei
der systematischen Erstellung des Kategoriensystems berücksichtigt und bei der Formulierung
der Bedeutungskategorien sowie deren Explikationen herangezogen. Darüber hinaus konnten
weitere Bedeutungskategorien expliziert werden, die in der Literatur im Zusammenhang
mit Eigenverantwortung nicht diskutiert werden, wie beispielsweise Zweifel an der
Umsetzbarkeit und/oder Nachweisbarkeit von Eigenverantwortung als Priorisierungskriterium
in der medizinischen Versorgung, Verweise auf die fragliche Kausalität zwischen gesundheitsschädlichen
Verhaltensweisen und einer Erkrankung oder Verweise auf die Revidierbarkeit medizinischen
Wissens sind nur einige Aspekte, die sich aus der inhaltsanalytischen Auswertung der
Fokusgruppen herauskristallisiert haben und in entsprechende Bedeutungskategorien
zusammengefasst wurden. Diskussion/Schlussfolgerung: Das Kategoriensystem spiegelt die wissenschaftliche Diskussion über Eigenverantwortung
als Priorisierungskriterium wieder. Darüber hinaus beinhaltet es Aspekte, die im Hinblick
auf die Forschungsfrage in Bedeutungskategorien expliziert wurden, und nicht in der
wissenschaftlichen Literatur erörtert werden. Aufgrund dessen ist es möglich ein besseres
Verständnis für das Priorisierungskriterium Eigenverantwortung zu erlangen und den
wissenschaftlichen Diskurs weiter voranzubringen.