Gesundheitswesen 2013; 75 - A17
DOI: 10.1055/s-0033-1354010

Klinische Effektivität von Biomarkern zur Krebsfrüherkennung im Rahmen von Selbstzahlerleistungen in Deutschland und Österreich – Ein systematischer Review

A Luzak 1, P Schnell-Inderst 2, S Bühn 3, A Mayer-Zitarosa 1, U Siebert 2
  • 1Department of Public Health and Health Technology Assessment, UMIT – University for Health Sciences, Medical Informatics and Technology, Hall in Tirol
  • 2Area 4 – Health Technology Assessment and Bioinformatics, Oncotyrol Center for Personalized Cancer Medicine, Innsbruck
  • 3Department of Medical Informatics, Biostatistics and Epidemiology, Ludwig-Maximilians University, Munich

Hintergrund: Selbstzahlerleistungen, auch individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) genannt, sind Untersuchungen oder Behandlungen, die nicht im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung enthalten sind. Ambulant werden Patienten sogenannte Vorsorge-Checks als IGeL angeboten, die unter anderem einen Labortest mit Biomarkern beinhalten. Dieses Angebot richtet sich an asymptomatische Patienten und fällt nicht in das Leistungsspektrum der gesetzlichen Screeningmaßnahmen. Blut- und Laboruntersuchungen machen bis zu 14% des Angebots an Selbstzahlerleistungen aus [1]. Diese Arbeit untersucht die klinische Effektivität von elf Biomarkern als Screeningtest zur Krebsfrüherkennung (AFP, CA125, CA15 – 3, CA19 – 9, CEA, Cyfra21 – 1, β-HCG, NMP22, M2-PK, NSE, PCA3), die im Internet häufig von Ärzten und Laboren als IGeL angeboten werden. Forschungsfrage: Wie ist die Nutzen-Schaden-Bilanz hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte (Mortalität, Morbidität, Lebensqualität) bei der Anwendung dieser Biomarker als Screeningtest zur Krebsfrüherkennung bei asymptomatischen Personen im Vergleich zur Routineversorgung? Methoden: Mittels systematischer Literaturrecherchen wurde für alle ausgewählten Biomarker nach Health-Technology-Assessment-Berichten, systematischen Reviews und randomisierten kontrollierten Studien (RCT) gesucht. Einschlusskriterien waren, dass asymptomatische Personen gescreent und mit einer ungescreenten Kontrollgruppe verglichen wurden. Untersuchte Zielgrößen waren die Auswirkungen auf Mortalität, Morbidität und der potenziell entstehende Schaden. Der systematische Review wurde nach den Methoden der evidenzbasierten Medizin erstellt. Ergebnisse: Zu neun der elf Biomarker wurden weder Übersichtsarbeiten noch RCTs gefunden, die einen dieser Biomarker als Screeningtest an gesunden Personen untersuchten. Insgesamt konnten fünf Übersichtsarbeiten eine zu NMP22 und vier zu CA125 und zwei RCTs zu CA125 eingeschlossen werden. Da zum Recherchezeitpunkt ein RCT noch andauerte, waren Daten zur krankheitsspezifischen Mortalität nur aus einem RCT verfügbar. Für die zehn weiteren Biomarker, NMP22 eingeschlossen, war keine Evidenz zu patientenrelevanten Endpunkten vorhanden. Beim kombinierten Screening aus CA125 und vaginalem Ultraschall bestand zwischen gescreenten und ungescreenten Frauen kein statistisch signifikanter Unterschied in der Ovarialkarzinommortalität (RR:1,18 95%-KI:0,82 – 1,71) [2]. Aus den ersten vier Screeningrunden wurden die Daten separat für den Biomarker CA125 ausgewertet. Das Verhältnis von Operationen zu tatsächlich gefundenen invasiven Karzinomen nach positivem CA125-Befund lag bei rund 4,5 zu 1 [3]. Schlussfolgerung: Aus den Ergebnissen der Screeningstudie mit dem Biomarker CA125 zum Ovarialkarzinomscreening ließ sich ein Schaden durch falsch-positive Testergebnisse, Überdiagnose und -behandlung, aber kein Nutzen aufzeigen. Für die anderen betrachteten Biomarker war keine Evidenz zur klinischen Effektivität als Screeningtest vorhanden. Bevor Patienten eine solche Leistung in Anspruch nehmen, sollten sie über die fehlende Evidenz der untersuchten Biomarker zur Krebsfrüherkennung und den potenziell entstehenden Schaden umfassend informiert werden.