Suchttherapie 2013; 14 - P4
DOI: 10.1055/s-0033-1351610

Pathologischer Medien- und Internetgebrauch aus mediensoziologischer Sicht – ein klinischer Blick in die Medienwissenschaften

O Bilke-Hentsch 1
  • 1Modellstation SOMOSA, SZSKJ Zürich, Winterthur

Einleitung: In der publizistischen und medienwissenschaftlichen Fachöffentlichkeit werden die Auswirkungen der modernen Medien und der neuen Internetapplikationen intensiv und kontrovers diskutiert. Multiple Publikationen, insbesondere von ehemaligen oder aktuellen Entwicklern von Technologie, erscheinen vor allem im angloamerikanischen Raum. In wieweit diese öffentliche Diskussion für die Konzeptualisierung von Diagnose- und Therapiestrategien bei pathologischem Internet- und Mediengebrauch nützlich gemacht werden kann, ist zu untersuchen.

Methode: Die nach Verkaufszahlen wichtigsten 20 Publikationen zum Thema moderne Medien- und Internetentwicklung der letzten 10 Jahre wurden darauf hin untersucht, in wieweit Trends, Bedrohungsszenarien aber auch Lösungsansätze für die sog. digitale Revolution gefunden werden können, die man im Kontext von suchterkrankten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nutzbar machen kann. Hierzu erfolgte eine qualitative Inhaltsanalyse mit entsprechender Kategorienbildung.

Diskussion/Ergebnisse: Es zeigen sich drei große Linien in der aktuellen medienwissenschaftlichen Literatur: 1. die technikfreundlichen Publikationen 2. die technikkritischen Publikationen 3. Publikationen, die versuchen einen Ausgleich herzustellen. Während die erste Kategorie primär die Nutzung sozialer Medien und der neuen kommunikativen und interaktionellen Chancen in den Vordergrund stellt, finden sich bei der zweiten Kategorie verschiedene Autoren, die insbesondere die soziale Isolation, die mangelnde Informationshoheit und den Verlust von Individualrechten in den Vordergrund stellen. Die dritte Kategorie, die eindeutig unterrepräsentiert ist, versucht für den interessierten Laien die Vor- und Nachteile intensiver Internet- und Mediennutzung abzuwiegen, ohne zu einem abschließenden Urteil zu kommen oder Risikogruppen zu benennen. Insgesamt ist der Anteil an europäischer Literatur zu diesem Thema ausgesprochen gering, die entscheidenden Publikationen kommen fast ausnahmslos aus dem amerikanischen Raum und bilden die dortige gesellschaftliche Realität ab.

Schlussfolgerung: Die weltweit geführte medienkritische bzw. positive Diskussion bildet sich in umfangreicher und teilweise intensiv recherchierter und aufwendiger publizistischer Fachliteratur ab. Insbesondere die technikkritischen Autoren vertreten einzelne interessante Konzepte, die das Verständnis vom Prozess der Medienabhängigkeit bei Kindern und Jugendlichen erleichtern und auch für die Therapieplanung sinnvoll genutzt werden könnten. Insgesamt benötigt man dringend weitere auf der europäischen Kultur fußende mediensoziologische Überlegungen zum Einfluss der modernen Medien auf Jugendkulturen und auf die Entwicklung von Familien.