Klinische Neurophysiologie 2013; 44(03): 211-212
DOI: 10.1055/s-0033-1351296
Kongressbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

57. Jahrestagung der DGKN 2013 mit Richard-Jung-Kolleg in Leipzig – Ein Rückblick

J. Claßen
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Publication Date:
16 September 2013 (online)

Die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) fand vom 21. bis 23. März 2013 in Leipzig statt. Das moderne Augusteum, der Hauptcampus der Universität Leipzig, mitten in der Innenstadt, in Fußweite der Thomaskirche, der Nikolaikirche und von Auerbachs Keller gelegen, versammelte die über 1 300 Kongressteilnehmer an ­einem historischen Ort der Wissenschaft. Der März 2013 zählte zu den kältesten in 100 Jahren. Deshalb bewährte sich die Universität mit ihren modernen Gebäuden als gastliche Institution gleichermaßen für Kongressbesucher und Industrieaussteller. Die Hauptthemen „Motorik und Plastizität“, „Sprache und Embodiment“ und die „Interventionelle Neurophysiologie“ als einem Leitthema der ­Zukunft der klinischen Neurophysiologie setzten den inhaltlichen Rahmen des wissenschaftlichen Programms. Sie spiegeln ebenso die Schwerpunkte der systemischen Neurowissenschaften in Leipzig wider. In Leipzig war es auch, wo Wilhelm Erb 1882 seine Vorlesung über Elektrotherapie ausarbeitete und als Handbuch veröffentlichte. Es war deshalb passend, dass die Jahrestagung der DGKN durch ein Satellitensymposium ergänzt wurde, das ca. 500 internationale Wissenschaftlicher zur „5th International Conference on Non-invasive Brain Stimulation“ vom 19. bis 21. März 2013 zusammenbrachte. Bei der Auswahl der Sitzungsthemen der DGKN, an der ein großes nationales Programmkomitee gestaltend mitwirkte, wurde darauf geachtet, in den vordefinierten Schwerpunktthemen, aber auch zahlreichen anderen Gebieten, wissenschaftliche Grundlagen mit einem Blick auf ihre klinische Anwendung und klinische Wissenschaften mit Bezug auf ihre physiologischen Grundlagen einem breiten Publikum zu präsentieren. Die Verzahnung mit dem Satellitensymposium eröffnete am überlappenden Tag die Möglichkeit des Besuchs ­internationaler englischsprachiger Sitzungen. Entsprechend den 3 Schwerpunktthemen bildeten die 3 Präsidentensymposien mit wissenschaftlich herausragenden Rednern Höhepunkte des Kongresses. Leonardo G. Cohen (Bethesda, Maryland, USA) bildete mit seinem Vortrag „Con cortical stimulation improve motor learning?“ eine thematische Klammer zwischen Grundlagen der motorischen Rehabilitation und neuen nicht invasiven Hirnstimulationsverfahren. Neben Leonardo G. Cohen wurde auch Alim-Louis Benabid (Grenoble, Frankreich) zum neuen Ehrenmitglied der DGKN ernannt. In seinem Vortrag „From microrecording in basal ganglia for Parkinson’s disease to cortical recording for brain computer interface“ zeichnete Benabid die Entwicklung der modernen interventionellen Neurophysiologie von den ersten Tagen der tiefen Hirnstimulation bis zu aktuellen Entwicklungen neuer Möglichkeiten der Bewegungskontrolle durch Brain-Computer-Interfaces nach. Patrick Haggard (London, Großbritannien), neues korrespondierendes Mitglied der DGKN, zeigte in seinem Vortrag „The body in the brain – psychophysics and neurophysiology of embodiment“ wie mit brilliant-einfachen Experimenten und klassischen Methoden der funktionellen Bildgebung, der Elektrophysiologie und der Psychophysik ein modernes Bild von der Repräsentation des Selbst und des Körpers im Gehirn entworfen werden kann. Komplettiert wurden diese Präsidentensymposien durch den Festvortrag/Ceremonial Lecture von Michael Tomasello, Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie. Tomasello belegte durch einen reichlich mit Anschauungsmaterial ausgestatteten Vortrag anhand seiner Experimente mit Primaten und Kleinkindern, dass Kooperativität und Gerechtigkeitsempfinden sich frühzeitig beim Menschen manifestierende Verhaltensweisen sind, deren starke Ausprägung den Menschen vom Affen unterscheidet. Im Rahmen des durch Michael Tomasello eingeleiteten Festabends erhielten Prof. Thomas Brandt (München) und Prof. Günther Deuschl (Kiel) den Hans-Berger-Preis für ihre ­wissenschaftlichen Lebensleistungen. Der Niels A. Lassen-Preis, der für eine hervorragende international hochrangig publizierte Arbeit zur klinischen Neurophysiologie mit den Methoden der funktionellen Bildgebung verliehen wird, ging an Dipl.-Psych. Daria Antonenko (Berlin) und an Prof. Dr. Simon B. Eickhoff (Düsseldorf und Jülich). Den Fortbildungspreis erhielt Prof. Roland Besser (Krefeld) für sein langjähriges Engagement beim Richard-Jung-Kolleg aus den Händen von Prof. Helmut Buchner. Der Festabend klang bei einer zünftigen NBS-DGKN-Party in den Katakomben der Moritzbastei aus.

Der Pflege des neurophysiologischen Nachwuchses wurde auf der Jahrestagung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die „Junge DGKN“ hatte 2 eigene Symposien (Untersuchungsmethoden der Hirnstammfunktionen sowie Bewusstseinszustände). Diese Symposien führten deutlich vor Augen, dass die DGKN eine sich ständig erneuernde Fachgesellschaft ist. Mit dem in Leipzig neu eingeführten Format der kommentierten Juniorvorträge erhielten junge Autoren Gelegenheit, ihre Ergebnisse in einem Vortrag zu präsentieren, der von einem erfahrenen Mentor begleitet und kommentiert wurde. Gerade dieses Format fand sehr großen Anklang – nicht nur bei den jungen Autorinnen und Autoren, sondern auch bei den Mentoren. Neue Wege wurden auch durch die Podiumsdiskus­sion beschritten, bei der mehrere Diskutanten aus Neurologie, Psychiatrie und Neurochirurgie die Perspektiven für eine traditionelle, Fächergrenzen überschreitende interventionelle Neurophysiologie entwarfen. Es wurde deutlich, dass in der interventionellen Neurophysiologie ein wesentlicher neuer Zweig der klinischen Neurophysiologie entstanden ist, dessen dynamische Entwicklung und erfolgreiche klinische Anwendung in den kommenden Jahren mit Sicherheit zunehmen werden. Ungelöste Probleme sind etwa die Einrichtung von Ausbildungszügen, die Qualitätssicherung und die Abrechenbarkeit der bisher unzureichend finanzierten Leistungen – Aufgaben, denen sich auch die DGKN in Zukunft widmen muss. Besonders deutlich wird dies auf dem Gebiet der tiefen Hirnstimulation, das inzwischen als klinisch voll etabliert gelten kann und in dem die aufwändige klinische Nachsorge der mittlerweile beträchtlichen Patientenzahlen dringend besserer Versorgungsstrukturen bedarf.

Wie im Vorjahr konnte die DGKN auch zu dieser Tagung 20 Stipendien für Studierende vergeben. 213 eingereichte Abstracts und mehr als 250 Abstracts des NBS-Kongresses stellten einen eindrucksvollen Beleg für die wissenschaftliche Lebendigkeit der Gesellschaft dar. Aus den wissenschaftlichen Beiträgen der DGKN wurden die folgenden Präsentationen als beste Poster ausgewählt und mit einem Preisgeld von 500 Euro prämiert – „Dopaminerger Einfluss auf neuronale Korrelate emotionaler Verarbeitung bei Patienten mit Morbus Parkinson“ (Dr. Julius Hübl, Berlin); „Neuritis vestibularis mit Beteiligung des inferioren Nervanteils: Risikofaktor für ein schlechteres Outcome“ (Dr. Christoph Best, Marburg); „Differentielle Effekte von Gesten-unterstütztem Wortlernen bei Patienten mit Restaphasie“ (Klaus-Martin Krönke, Leipzig). 118 Industrieaussteller der DGKN und 23 Industrieaussteller des Satellitensymposiums boten reichlich Anschauungsmate­rial und trugen mit Ausstellungsständen und Industriesymposien zur Fortbildung und zur Finanzierung des Kongresses bei. Das von Prof. Benecke, Rostock, und Prof. Buchner, Recklinghausen, organisierte Richard-Jung-Kolleg bot in bewährter Qualität ein reiches Fortbildungsprogramm, dessen 1250 Buchungen für sich sprechen.

Zusammen mit der NBS-Konferenz nahmen an der Tagung ca. 1 800 Kongressbesucher teil – ein neuer Meilenstein in der Geschichte der Jahrestagungen der DGKN. Entsprechend der zunehmenden Wahrnehmung und dem zunehmenden öffentlichen Interesse an Neurothemen fand die Konferenz ein reiches Echo in Printmedien, Fernsehen, Rundfunk und anderen Medien. Inzwischen hat sich die Jahres­tagung der DGKN als ein wesentlicher deutschsprachiger Kongress der Systemneurowissenschaft des Menschen etabliert.

Die nächste Jahrestagung der DGKN findet gemeinsam mit dem „30th International Congress of Clinical Neurophysiology“, dem Weltkongress der International Federation of Clinical Neurophysiology, vom 20. bis 23. März 2014 unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Reinhard Dengler (Präsident der DGKN) und Prof. Otto Witte statt.

Prof. Dr. Joseph Claßen,
Tagungspräsident
PD Dr. Dorothee Saur,
Wissenschaftliches Sekretariat