Geburtshilfe Frauenheilkd 2013; 73(10): 996-997
DOI: 10.1055/s-0033-1350946
Geschichte der Gynäkologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Berühmte Gynäkologen. Ernst Philipp (1893–1961) und die Nominierung für den Nobelpreis für Medizin und Physiologie 1957

A. D. Ebert
,
M. David
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07 November 2013 (online)

Ernst Philipp, seit 1937 Ordinarius der Kieler Universitäts-Frauenklinik, dürfte sich sehr über die Beurteilung seines alten Lehrers und Mentors Walter Stoeckel (1871–1961) gefreut haben ([Abb. 1]). Stoeckel wurde vom Nobel-Komitee zur Nominierung eines Kandidaten für den anstehenden Nobelpreis für Medizin 1957 aufgefordert. Er schrieb nach Stockholm: „… Diese Vorbedingung [für die Verleihung des Nobelpreises – Anm. der Verf.] wird zur Zeit auf geburtshilflichem Gebiet nur von Prof. Philipp erfüllt. Alle anderen hervorragenden Wissenschaftler auf deutschsprachigem Gebiet haben lediglich ‚weitergearbeitet‘, sie haben nicht wirklich neue Entdeckungen gemacht. Das aber ist Philipp gelungen. Er ist nach Ernst von Baer, dem Entdecker des menschlichen Eies, nach den beiden Österreichern Hitschmann und Adler, die die Endometrium-Veränderungen beim Cyklus entdeckt haben, und nach der Entdeckung der gesetzmäßigen Wechselbeziehung zwischen Ovarium und Uterus während des mensuellen Cyklus durch Robert Meyer der fünfte Entdecker geworden, der die Placenta in das Zentrum des hormonalen Geschehens während der Schwangerschaft gestellt hat […]. Philipp konnte bereits im Jahre 1928 als erster experimentell nachweisen, dass die Zellen der menschlichen Placenta Hormone nicht speichern, sondern produzieren. Diesen Nachweis hat er sowohl für die Östrogene als auch für die Gonadotropine geführt. Seine im Zentralblatt für Gynäkologie publizierten Ergebnisse […] stießen […] auf lebhafte Opposition, weil dadurch die bisherige, für unangreifbar gehaltene Lehre, dass auch während der Schwangerschaft das Ovar die Östrogene und der Hypophysenvorderlappen die sogenannten Prolane, d. h. Gonadotropine liefert, stark angegriffen wurde […]“. Philipp konnte nach Stoeckel zeigen, dass der Hypophysenvorderlappen während der Schwangerschaft überhaupt keine Gonadotropine enthält, was ihn zu dem Schluss führte: „[…] Dadurch ist die Placenta als endokrinologisches Zentrum während der Schwangerschaft eine wirklich neue Entdeckung geworden, die für das biologische wie für das klinische Geschehen vom Beginn der Gravidität an die höchste Bedeutung erlangt und der geburtshilflichen Forschung ganz neue Wege gewiesen […]“ [2].

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Abb. 1 Ernst Philipp als Ordinarius der Universitäts-Frauenklinik in Kiel [1].

Stoeckel hätte damals auch die von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertriebenen Selmar Aschheim (1878–1965) und Bernhard Zondek (1891–1966) vorschlagen und neben Robert Meyer (1864–1947) auch den kongenialen Robert Schröder (1884–1959) zumindest erwähnen können oder gar müssen. Den Nobelpreis 1957 erhielt letztlich der Italiener Daniel Bovet (1907–1992) „für seine Entdeckungen über synthetische Verbindungen, die gewisse Substanzen [Curare-Gifte und Antihistaminika – Anm. der Verf.] im Körper wirksam werden lassen, und besonders deren Wirkung auf das Gefäßsystem und die Skelettmuskulatur“ [3].

Wer war der Mann, denn Walter Stoeckel in den 1950er-Jahren als den „immer klarer sich abzeichnenden Führer der deutschen Gynäkologen“ bezeichnete [4]?

Ernst Philipp, geboren am 22. Oktober 1893 im schlesischen Münsterberg, studierte nach dem Abitur 1912 in Magdeburg und in Berlin Medizin. Von 1914–1919 nahm er aktiv am Ersten Weltkrieg teil. Erst 1919 setzte er seine medizinische Ausbildung fort, promovierte und wurde für kurze Zeit sogar praktischer Arzt in Wanzleben [1], [5], [6]. Von 1921–1934 durchlief Philipp an der UFK Berlin in der Artilleriestraße unter den Direktoren Ernst Bumm (1858–1925) und Walter Stoeckel alle wichtigen Ausbildungsschritte, wobei nicht nur gearbeitet, sondern auch viel gefeiert wurde ([Abb. 2]). Schon 1924 machte Philipp erste Untersuchungen auf dem Gebiet der Endokrinologie. Sicherlich war diese Initiative von Stoeckel gern gesehen, denn der Schwerpunkt dieses jungen Forschungsgebiets lag eindeutig bei der „Konkurrenz“ in der Charité-Frauenklinik, wo Selmar Ascheim, Bernhard Zondek und zunächst auch Robert Meyer unter den Direktoren Ernst Bumm, Karl Franz (1870–1926) und Georg Wagner (1873–1947) nicht nur den ersten praktikablen biologischen Schwangerschaftstest bzw. die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Ovar und Endometrium entwickelten, sondern das gesamte Forschungsgebiet klinisch-relevant vorantrieben [8]. 1928 konnte Ernst Philipp sich an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin habilitieren, wobei die gynäkologische Endokrinologie nicht das Thema war [9]. Prägend dürfte für den jungen Arzt – wie damals bereits en vougue – der folgende Studienaufenthalt am Johns-Hopkins-Hospital in Baltimore (USA) gewesen sein, der ihm, aus dem Deutschland der Weimarer Republik mit einem Rockefeller-Stipendium kommend, zwischen 1928–29 eigentlich auch die Augen für die ökonomischen Möglichkeiten der USA geöffnet haben dürfte [10]. Das hinderte ihn – wie viele andere – nicht daran, 1933 der NSDAP und der SA beizutreten. In der Friedrich-Wilhelms-Universität bekleidete Philipp bald auch die (Sprungbrett-)Funktion eines NS-Dozentenführers [11].

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Abb. 2 „Mittenmang“: Ernst Philipp (etwa 1930) als Oberarzt der Poliklinik der Stoeckelʼschen Universitäts-Frauenklinik mit den Praktikanten der Klinik [7].

Nach der Ernennung zum Oberarzt der Klinik (1932) erfolgte ein Jahr später die Bestellung Philipps zum außerordentlichen Professor der Berliner Universität. Ernst Philipp war inzwischen durch Publikationen, Vorträge, durch seine Persönlichkeit und nicht zuletzt durch die „Gremienarbeit“ Stoeckels in den entscheidenden Fachkreisen so bekannt, dass die Berufung auf den vakanten Greifswalder Lehrstuhl nahelag, wo Philipp 1934 der Nachfolger Hans Runges (1892–1964) wurde, der nach Heidelberg wechselte [12]. Schon 1937 folgte der Ruf an die Kieler Universitäts-Frauenklinik, die bisher von Philipps Lehrer Stoeckel und dann von Robert Schröder geleitet wurde, der einen Ruf an die Universitäts-Frauenklinik Leipzig annahm [1].

Ernst Philipp leitete dann von 1937–1961 die Kieler Universitäts-Frauenklinik „in schlechten wie guten Zeiten“. Er baute einen neuen Klinikflügel, den „Stoeckel-Bau“ und sah dann, wie die ganze Kieler Klinik nach alliierten Luftangriffen 1944 in Trümmern versank [1], [6]. Und Philipp baute nach dem Krieg alles wieder auf – die Klinik, seine Mannschaft, die Labore, die Kooperationen und auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie (heute DGGG). Die DGGG wählte ihn zu ihrem 34. Präsidenten, doch er konnte „seinen“ Hamburger Kongress nicht mehr leiten. Professor Gustav Döderlein (1893–1980), damals schon Wahl-Münchener, eröffnete den Kongress für den am 24. Dezember 1961 verstorbenen Ernst Philipp, seinen Ko-Assistenten aus gemeinsamen Berliner Zeiten [13]. Zu Philipps zahlreichen akademischen Schülern gehörten u. a. Herbert Huber (1907–1977), Georg Hörmann (1914–1995?), Walter Schaefer (1894–1952), Karl Heinrich Wulff (geb. 1928) und Christian Lauritzen (1923–2007).

Ernst Philipp sollte der jüngeren Frauenarztgeneration als der Entdecker des plazentaren hCG in Erinnerung bleiben [14], [15], [16], [17].

 
  • Literatur

  • 1 Philipp E, Hörmann G. Die Kieler Universitäts-Frauenklinik und Hebammen-Lehranstalt 1805–1955. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 1955: 100-107
  • 2 Stoeckel W. Erinnerungen eines Frauenarztes. München: Kindler Verlag; 1966: 598-599
  • 3 http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/1957 Stand: 02.10.2013
  • 4 Stoeckel W. Nachtrag zum „Gelebten Leben“. Schreibmaschinenmanuskript, 1956: S. 70.
  • 5 Philipp E. Untersuchungen über Elektrokardiogramm und Phonokardiogramm bei der Irregularitas perpetua unter besonderer Berücksichtigung von Leistungszeit und Erregungszeit. Dissertationsschrift. Berlin: 1920
  • 6 Semm K, Weichert-von Hassel M. Universitäts-Frauenklinik Kiel – ihre Bedeutung für die Frauenheilkunde 1805 – 1985. Imst, Österreich: Alpendruck; 1985: 146-163
  • 7 Ebert AD. Das Praktikanten-Buch und einige berühmte Hauspraktikanten der Universitäts-Frauenklinik (1924 – 1944) in der Artilleriestraße 18. In: David M, Ebert AD, Hrsg. Geschichte der Berliner Universitäts-Frauenkliniken. Berlin, New York: DeGruyter Verlag; 2010: 334-366
  • 8 Rohde W, Hinz G. Endokrinologische Forschung an der Charité-Frauenklinik (II. Universitäts-Frauenklinik) 1908 – 1951, zugleich Keimzelle des 1951 gegründeten Instituts für Experimentelle Endokrinologie der Charité. In: David M, Ebert AD, Hrsg. Geschichte der Berliner Universitäts-Frauenkliniken. Berlin, New York: DeGruyter Verlag; 2010: 131-162
  • 9 Philipp E. Experimentelle Studien zur Frage der kongenitalen Trypanosomen- und Spirochäteninfektïon. Habilitationsschrift. Berlin: 1928
  • 10 Philipp E. Geburtshilfe und Gynäkologie in U.S.A. Verhandlung der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin vom 10. Januar 1930. Z Geburtsh Gynäkol 1930; XCVII: 323-335
  • 11 Klee E. Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt/M.: Fischer Verlag; 2007: 460
  • 12 Eulner HH. Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes. Stuttgart: Ferdinand Enke; 1970: 283ff
  • 13 Ludwig H. Die Reden. 2. Aufl. Heidelberg: Springer Verlag; 1999: 247-249
  • 14 Philipp E. Die innere Sekretion der Placenta. Zbl Gynäkol 1930; 54: 2754-2757
  • 15 Philipp E. Über den Zusammenhang von Histologie und innersekretorischer Wirkung des Hypophysenvorderlappens. Zbl Gynäkol 1930; 54: 3076-3096
  • 16 Philipp E. Hypophysenvorderlappen und Placenta. Zbl Gynäkol 1930; 54: 450-453
  • 17 Philipp E. Die Bildungsstätte des „Hypophysenvorderlappenhormons“ in der Gravidität. Zbl Gynäkol 1930; 54: 1858-1866