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DOI: 10.1055/s-0033-1348228
Hat die Orthopädie und Unfallchirurgie ein „Imageproblem“?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
18. Juni 2013 (online)



Prof. Dr. med. Karsten Dreinhöfer BVOU-Vizepräsident
Wohl kaum, denn die deutsche Orthopädie und Unfallchirurgie scheint in letzter Zeit zunehmend zum Sprungbrett für Politiker zu werden: Daniel Bahr hat die Öffentlichkeitskampagne des BVOU im Herbst 2010 als Schirmherr begleitet – und wurde im Mai 2011 Bundesgesundheitsminister. Dr. Joachim Gauck hielt im Herbst 2011 die bewegende Mittagsvorlesung „Freiheit als Verantwortung“ – und wurde im März 2012 zum Bundespräsidenten gewählt.
Gleichzeitig scheint die inhaltliche Leistung von O und U mehr und mehr hinterfragt zu werden: So wird im aktuellen Krankenhausreport 2013 der AOK mit dem Schwerpunktthema „Mengendynamik: mehr Menge - mehr Nutzen?“ dargestellt, dass sich zum Beispiel die Operationszahlen bei Wirbelsäulenoperationen zwischen 2005 und 2010 mehr als verdoppelt haben. Und es geht gleich weiter: Die Techniker Krankenkasse berichtet, dass „85 Prozent aller Rückenoperationen in Deutschland unnötig sind.“
Wer erschrocken nach der Originalpublikation sucht, tut sich zunächst einmal schwer: In der wissenschaftlichen Literatur findet man keine Arbeit mit diesem Ergebnis. Schlussendlich findet sich die Quelle dieser von vielen Medien zitierten Zahl im TK-Rückenreport. Dort wird das TK-Angebot „Zweitmeinung vor Wirbelsäulen-Operation“, bei der sich Versicherte vor einer Rückenoperation eine kostenlose Zweitmeinung holen können, ausgewertet: „In einem von 30 bundesweit eingerichteten Schmerzzentren untersucht ein Expertenteam aus Physio-, Schmerz- und Psychotherapeuten den Patienten erneut und empfiehlt gegebenenfalls eine Alternativtherapie. (…) In knapp zwei Jahren haben bereits mehr als 500 Patienten dieses Angebot genutzt. Bei über 420 von ihnen konnten die Experten Alternativen zur Operation wie zum Beispiel Physio- oder Schmerztherapie empfehlen.“ Auf solchen Analysen – erhoben von Personen mit zum Teil sicherlich fraglicher muskuloskelettaler Kernkompetenz in einem hochselektierten Versichertenkollektiv – basiert also die Aussage, dass 85 Prozent der jährlichen Eingriffe an der Wirbelsäule, das sind circa 550.000, nicht indiziert sind. …
Die AOK stellt dann dar, dass Deutschland international an der Spitze steht – bei der Versorgung mit Hüft- und Knieendoprothesen (296 bzw. 213 je 100.000 Einwohner) – und vergleicht diese Zahlen mit dem Durchschnitt der OECD-Länder, der bei etwa der Hälfte liegt (154 bzw. 118). Hierbei muss man sich über die OECD-Mitglieder im Klaren sein: Dazu zählen zum Beispiel auch Griechenland (140 je 100.000), Ungarn (99), Estland (88), Slowakei (78), Polen (44), Chile (19), Südkorea (17) und Mexiko (8). Ganz ehrlich gesagt, ich verstehe nicht, warum wir uns nicht darüber freuen und stolz sind, in einem Land zu leben, in dem der Mobilitätserhalt – nicht nur durch die PKW-Quote – ein große Rolle spielt.