Balint Journal 2013; 14(02): 33-39
DOI: 10.1055/s-0033-1347186
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Therapie als Hilfe zur Annahme seiner selbst: über die heilsame Kraft der Begegnung

Therapy Means Becoming Able to Accept Myself: About the Healing Power of Human Encounters
G. Maio
1   Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i.Br.
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Publication Date:
24 June 2013 (online)

Zusammenfassung

Die moderne Medizin konzentriert sich aus ihrem naturwissenschaftlichen Erbe heraus und neuerdings unterstützt durch die Ökonomisierung geradezu ausschließlich auf die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Körpers und vergisst dabei grundlegend, dass jeder Mensch Potenziale und Ressourcen hat, sich bei unheilbarer oder chronischer Krankheit auch mit dem Unabänderlichen so anzufreunden, dass er durch die Krankheit hindurch ein erfülltes Leben führen kann. Daher ist es für die moderne Medizin wichtig, dem Patienten dabei zu helfen, sich in ein gutes Verhältnis zu seinem Kranksein zu setzen. Denn nicht nur gesundes, sondern auch krankes Leben kann als ein volles Leben wahrgenommen werden, vorausgesetzt, es findet sich jemand, der den Patienten für diese Potenziale aufschließt. Dieses Aufschließen der Potenziale kann nur innerhalb einer Beziehungsmedizin realisiert werden. Vor diesem Hintergrund gilt es, die Grenzen der verobjektivierenden Wissenschaft zu reflektieren und die heilende Kraft der Begegnung in den Mittelpunkt stellen; die Kraft des authentischen Verstehens und damit die Kraft, die nicht zuletzt aus dem zusprechenden Wort resultiert. Das Wort, das den Menschen ansprechen kann, um ihm letzten Endes die Chance zu geben, durch diese Zuwendung einen neuen Zugang zu Krankheit und Begrenztheit zu finden. Bei allem Können muss die moderne Medizin lernen, sich mit der Begrenztheit des Machbaren in einer Weise anzufreunden, dass diese Begrenztheit auch als Chance gesehen wird, sich auf den Kern des Lebens zu konzentrieren.

Abstract

Modern medicine focuses too much on the restitution of physical functions and tends to neglect all the potentials every human being has to cope with chronic or end stage disease. Every human being has the chance to live a full life even in the state of being ill, because this full life depends more on the attitude towards life and disease and not on the healing process alone. Therefore it is necessary to reestablish a personal medicine which focusses on the human encounter between patient and physician. It is necessary to transcend the mere objectivizing approach of medicine and to reappreciate the healing power of the dialogue with the patient. It is the healing power of understanding which can mobilise the inner forces of the patient to cope with the unchangeable. Therefore medicine has to learn to deal with the limits of technical possibilities and to concentrate on the limitless power of the inner forces of the patients.

 
  • Literatur

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