Überdiagnose ist die Diagnose von Karzinomen, die während eines Screeningprogramms
entdeckt werden und während der verbleibenden Lebenszeit eines Menschen ohne Früherkennung
nicht entdeckt worden wären.
Ab Beginn des Screenings werden in der gescreenten Bevölkerung mehr Karzinome entdeckt
als in einer ungescreenten Vergleichsgruppe. Nach Beendigung des Screenings werden
vorübergehend weniger Karzinome in der gescreenten Bevölkerung entdeckt. Falls der
screeningbedingte Anstieg nicht vollständig kompensiert wird und die Zahl der Erkrankten
in der gescreenten Bevölkerung dauerhaft erhöht bleibt, liegt Überdiagnose vor.
Überdiagnose ist die schwerwiegendste Nebenwirkung eines Früherkennungsprogramms.
Der Arzt kann nicht feststellen, ob ein früh entdeckter Krebs in der verbleibenden
Lebenszeit symptomatisch geworden wäre. Überdiagnostizierte Krebsfälle werden deshalb
wie andere Krebse behandelt.
Eine Studie, die zwei vollständig vergleichbare Populationen, von denen eine 20 Jahre
lang am Mammografiescreening teilnimmt, bis an ihr Lebensende beobachtet, liegt nicht
vor. Nicht randomisierte Beobachtungsstudien des Mammografiescreenings wurden mit
Überdiagnosen von bis zu 50% publiziert. Eine methodische Analyse der aus europäischen
Screeningprogrammen publizierten Studien durch die EUROSCREEN-Gruppe ergab jedoch,
dass bei einer angemessenen Berücksichtigung von Trends in der Hintergrundinzidenz
und der Diagnosevorverlegung die Überdiagnose nur 1 – 10% beträgt. Eine unabhängige
Gruppe britischer Wissenschaftler hat aus drei randomisierten Studien mit einer Nachbeobachtungszeit
von mindestens 6 Jahren eine Überdiagnose von 10,7% errechnet.
Überdiagnose kommt beim Mammografiescreening vor. Die Bestimmung des Ausmaßes ist
schwierig und mit Unsicherheiten behaftet, die bei der Bewertung der Ergebnisse berücksichtigt
werden müssen.
Lernziele:
Korrespondierender Autor: Junkermann H
Universitätsfrauenklinik, Sektion Senologische Diagnostik, Voßstrasse 9, 69115 Heidelberg
E-Mail: hans.junkermann@med.uni-heidelberg.de