Hebamme 2013; 26(4): 224
DOI: 10.1055/s-0033-1345504
Editorial
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Was ist eigentlich „alternative“ Geburtshilfe?

Cordula Ahrendt
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Publication Date:
18 December 2013 (online)

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Vor kurzem sagte eine langjährige Kreißsaalhebamme zu mir: „Alternative Geburtshilfe ist bei der heutigen Arbeitsbelastung nicht möglich!“ In diesem Satz drückte sie die erlebte allgemeine Stresssituation der Hebammen in den Kreißsälen aus, die aus einer engen Personalsituation, der zusätzlichen Belastung durch die praktische Anleitung der werdenden Hebammen, der hohen Einleitungs- und Sectiorate und der zunehmenden forensischen Problematik resultiert.

Dies war mir nur zu gut aus den Gesprächen mit unseren Hebammenschülerinnen bekannt, die ab Beginn der Ausbildung mit dem Spagat zwischen ihrer Berufung als Hebamme und den realen Bedingungen einer zunehmend technisierten Geburtsmedizin konfrontiert werden. Zudem ist eine pädagogisch ausgerichtete Praxisanleitung selten möglich. Der Beitrag von Daniela Hentschel in dieser Ausgabe legt Ursachen für die schwierige aktuelle Situation der Praxisanleitung im Kreißsaal und auf der Wochenstation, aber auch Ideen zu realisierbaren Verbesserungsmöglichkeiten dar.

Später dachte ich über den Teil des Satzes: „Alternative Geburtshilfe ist … nicht möglich“ nach. Was verstand diese erfahrene Hebamme unter „alternativer Geburtshilfe“? Was wird allgemein darunter verstanden? Wie ist dieser Begriff eigentlich definiert? Ich recherchierte und kam zu dem Ergebnis, es gibt keine klaren Aussagen. Einige verbinden mit „alternativer“ Geburtshilfe die Anwendung verschiedener Gebärpositionen, andere die Möglichkeit, außerhalb der Klinik das Kind zu gebären. Liegt also die Verwendung dieser Begrifflichkeit im Auge des Betrachters, in dem, was er/sie als realistisch anwendbar oder entsprechend der persönlichen Erfahrungen als abweichend von der Norm findet? Dann könnte auch eine Spontangeburt irgendwann ein alternativer Geburtsmodus sein?!

Die Suche nach artverwandten Begriffen führte mich zur „Alternativmedizin“. Das Ergebnis war ähnlich – es gibt weltweit keine eindeutigen Definitionen. Gebrauchte Synonyme sind Komplementärmedizin, CAM (Complementary and Alternative Medicine), Integrative Medizin, Ganzheitsmedizin oder Naturheilkunde. Das Wort „Alternativmedizin“ wird in der Literatur kritisiert, weil es bedeutet, dass der Gebrauch dieser Methoden immer anstelle konventioneller schulmedizinischer Methoden erfolgt. „Komplementärmedizin“ hingegen sagt aus, dass diese Methoden gleichzeitig und ergänzend zu konventionellen Verfahren angewandt werden, um die Wirkung zu potenzieren oder deren Nebenwirkungen zu verringern. In Europa setzt sich inzwischen der zusammenfassende Begriff Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) durch.

Regine Knobloch zeigt uns in ihrem Beitrag sehr nachdrücklich auf, welche Rechte und Pflichten Hebammen in der Anwendung von CAM haben und wie bedeutungsvoll es für uns ist, den Begriff „Therapie“ nicht zu nutzen.

Der 3. Platz des Justina-Siegemund-Preises 2012 wurde für die Auswertung der Studienlage und einer Umfrage in der außerklinischen Geburtshilfe zur Anwendung des Rizinuscocktails vergeben. Außer diesem Artikel wird in diesem Heft die Forschungslage zum Einfluss der Hypnose auf den Schmerzmittelverbrauch bei Gebärenden sowie zur Wirkung von Akupunktur/Akupressur sub partu untersucht. Zusätzlich können Sie von den praktischen Erfahrungen bei der Anwendung dieser beiden Methoden profitieren.

Die Forschungsergebnisse zeigen die positive Wirkung der Komplementär- und Alternativmedizin in der Geburtshilfe, werfen aber auch viele neue Fragen auf. Dabei sollten wir nicht aus dem Auge verlieren, dass die Anwendung dieser Methoden auch immer eine Intervention darstellt, die einer informierten Entscheidung der Frau bedarf und deren Notwendigkeit kritisch hinterfragt werden sollte.

Ich wünsche Ihnen zum Jahresende, dass Sie – entweder alternativ oder komplementär zu den Herausforderungen des Alltags – Zeit und Muße zum Lesen unseres Heftes finden.

Alles Gute für das neue Jahr 2014 und herzliche Grüße

Cordula Ahrendt