Diabetologie und Stoffwechsel 2013; 8 - P215
DOI: 10.1055/s-0033-1341875

Entstehung und Progression diabetischer Folgeerkrankungen in Personen mit Typ 1 Diabetes mellitus: Die JEVIN Studie – ein 20-jähriges Follow up

T Heller 1, N Müller 1, C Kloos 1, R Schiel 2, G Wolf 1, UA Müller 1
  • 1Universitätsklinikum Jena, Innere Medizin III, Jena, Germany
  • 2MEDIGREIF Inselklinik Heringsdorf GmbH, Fachklinik für Diabetes und Stoffwechselkrankheiten, Heringsdorf, Germany

Fragestellung: Analyse der Entwicklung und Progression der diabetischen Retinopathie, Nephropathie und peripheren Neuropathie einer Population von Patienten mit Typ-1-Diabetes mellitus (DM) über einen Zeitraum von 20 Jahren.

Methodik: Die JEVIN-Studie begann 1989/90 als Querschnittsuntersuchung zur Behandlungsqualität insulinbehandelter DM-Patienten (n = 190; Alter 16 – 60J) mit Wohnsitz in Jena. In 5-Jahres-Intervallen wurde die Kohorte nachuntersucht, 2004/05 und 2009/10 nur Pat. mit DM 1. Seit Studienbeginn gab es enorme Veränderungen in Betreuungsstruktur und Therapie. 1989/90 wurde das Gesundheitssystem dezentralisiert sowie strukturierte Behandlungs- und Schulungsprogramme für intensive Insulintherapie eingeführt; 1995 wurden Diabetesschwerpunktpraxen gegründet, tierisches Insulin durch Humaninsulin ersetzt und die Insulinpumpentherapie eingeführt; tägliche Blutglukoseselbstkontrollen wurden zum Standard. 1989/90 wurden 131 Pat. mit DM 1 untersucht. 104(79,4%) Pat. waren 2009/10 noch am Leben. Hiervon konnten 83(79,8%) identifiziert und 73(88%) nachuntersucht werden: Frauen 33%, Alter 58,5J, DM-Dauer 35,2J (20 – 68), BMI 26,64 kg/m2, RR 143/82 mmHg, HbA1c 6,9% (DCCT adj.).

Ergebnisse: 70% (n = 51) der 73 Patienten mit 20-jährigem Follow up hatten keine Retinopathie bei Studienbeginn. 2009/10 haben weiterhin 27% (n = 20) keine Retinopathie, wobei 51% (n = 37) eine präproliferative und 18% (n = 13) eine proliferative Retinopathie aufweisen. Zum Follow up hatten 32% (n = 17) eine Laserbehandlung. Der HbA1c der Pat. ohne/mit Retinopathie war 7,3%/7,6% (56,3mmol/mol/59,6mmol/mol; n.s.) zur Baseline und 6,5%/7,0% (47,5mmol/mol/53,1mmol/mol; n.s.) zum Follow up.

Bei Studienbeginn hatten 86% (n = 63) keine Neuropathie im Vergleich zu 56% (n = 41) zum Follow up. Diabetisches Fußsyndrom (Ulkus/Gangrän) lag bei je 3 Pat. bei Einschluss und zum Follow up vor. Keiner hatte zur Baseline eine Amputation, allerdings 2 Pat. zum Follow up. Der HbA1c bei Pat. ohne/mit Neuropathie war 7,3%/8,1% (56,3mmol/mol/65,0mmol/mol; n.s.) zur Baseline und 6,7%/7,1% (49,7mmol/mol/54,1mmol/mol; n.s.) zum Follow up. Die Sensibilitätsprüfung war bei 45% (n = 33), der periphere Pulsstatus bei 70% (n = 51) ohne pathologischen Befund.

Keine diabetische Nephropathie lag 1989/90 bei 77% (n = 56) und beim Follow up bei 49% (n = 36) vor. Der HbA1c bei Pat. ohne/mit Nephropathie war 7,4%/7,5% (57,4mmol/mol/58,5mmol/mol; n.s.) zur Baseline und 6,8%/7,1% (50,8mmol/mol/54,1mmol/mol; n.s.) zum Follow up.

Schlussfolgerungen: Nach einer mittleren Diabetesdauer von 35 Jahren und einem Follow up von 20 Jahren stieg die diabetische Retinopathie von 30% auf ca. 70% (40%, 2%/J). In der gleichen Periode stieg die Prävalenz der Neuropathie von 14% auf 66% (42%, 2%/J) und die der Nephropathie von 23% auf 51% (28%, 1,4%/J). Patienten ohne Folgeerkrankungen hatten einen nicht signifikant niedrigeren HbA1c zur Baseline und zum Follow up. Der Anstieg der Prävalenz ist gering im Vergleich zum langen Follow up.