Diabetologie und Stoffwechsel 2013; 8 - P214
DOI: 10.1055/s-0033-1341874

Sind Glykämie und Blutdruck ausreichende Erklärungen für die Entstehung diabetischer Folgeerkrankungen?

N Müller 1, C Kloos 1, G Wolf 1, UA Müller 1
  • 1Universitätsklinikum Jena, Innere Medizin III, Jena, Germany

Fragestellung: Langzeithyperglykämie und Hypertonie sind anerkannte Risikofaktoren für die Entwicklung diabetischer Folgeerkrankungen (FE). In der klinischen Praxis werden jedoch immer wieder Patienten gesehen, die trotz unbefriedigender Stoffwechsel- und Blutdruckeinstellung über viele Jahre keine FE entwickeln bzw. trotz relativ guter Stoffwechselkontrolle rasch FE bekommen. Um dieses Phänomen näher zu beschreiben, haben wir die Standardrisikofaktoren für diabetische FE bei Patienten mit Diabetes Typ 2 (DM 2) mit und ohne FE untersucht.

Patienten und Methoden: In einer Hochschulambulanz für Endokrinologie/Stoffwechselkrankheiten rekrutierten wir 296 Patienten mit DM 2 und einer DM-Dauer >= 20J aus der elektronischen Patientenakte EMIL® (http://www.itc-ms.de): 44% Frauen, Alter 72,2J; Zeit seit DM-Diagnose 27,4J; BMI 32,7 kg/m2; HbA1c 51mmol/mol (6,8%); 91,6% Insulintherapie). Mittleres Follow up 10,5J mit im Mittel 37 Besuchen, zu welchen immer der HbA1c, RR und BMI gemessen wurde. HbA1c wurde DCCT adjustiert.

Ergebnisse: 9,5% der Patienten hatten keine FE, 15,5% eine milde, 9,5% eine fortgeschrittene, 35,1% zwei und 31,4% drei FE (Retinopathie, Nephropathie und Neuropathie). Patienten mit keiner bzw. einer milden FE hatten im Vergleich zu Patienten mit allen drei FE über den Beobachtungszeitraum einen um 3 mmol/mol (0,3%) niedrigeren mittleren HbA1c (57 vs. 60,66 mmol/mol (7,4 vs. 7,7%); p = 0,042); einen niedrigeren syst. RR (144 vs. 148 mmHg; p = 0,015), aber einen höheren diast. RR (82 vs. 78 mmHg; p = 0,001). Keinen Unterschied gab es hinsichtlich Alter (70,3 vs. 72,8J; p = 0,062), Zeit seit DM-Diagnose (27,3 vs. 28,4J; p = 0,236), BMI (31,5 vs. 32,7 kg/m2; p = 0,236), Raucherstatus (Raucher 6,8 vs. 8,1%; p = 0,368) und Sozialstatus (11,3 vs. 11,0; p = 0,704). In der Regressionsanalyse mit Alter, RR, BMI und HbA1c als Kovariate zeigte sich keine signifikante Assoziation von Alter, BMI und HbA1c mit dem Risiko diabetische FE zu entwickeln. Die Assoziation für Blutdruck war nur sehr gering mit OR = 1,007 (p = 0,001) für den systolischen RR und OR = 0,893 (p = 0,001) für den diastolischen RR. Patienten mit keiner oder einer milden FE wurden häufiger mit Metformin (54,4 vs. 30%; p = 0,001) und Sulfonylharnstoffen (10,8 vs. 0,8%; p = 0,001) und seltener mit Insulin (68 vs. 95,4%; p = 0,001) und Statin (49,8 vs. 73,8%; p = 0,001) behandelt. Bezüglich der antihypertensiven Therapie gab es keinen Unterschied (88 vs. 93,1%; p = 0,121)

Schlussfolgerung: Bei einer Gruppe von Patienten mit langer Erkrankungsdauer an DM 2 zeigten sich nur eine sehr geringe Assoziation zwischen dem Risiko für die Entstehung diabetischer FE und dem RR und keine Assoziation zum HbA1c. Die dargestellten geringen Unterschiede im HbA1c und RR können nach unserer Auffassung nicht die Hauptursachen für die Differenz in der Ausprägung der FE sein. Wir gehen davon aus, dass andere Faktoren wie Autoimmunreaktionen oder genetische Prädispositionen das Risiko für die Entstehung von FE wesentlich mit beeinflussen.