Diabetologie und Stoffwechsel 2013; 8 - P212
DOI: 10.1055/s-0033-1341872

Gestörte autonome Nervenfunktion bei adipösen Kindern und Jugendlichen: Assoziation zu Gewichtsstatus, Insulinresistenz, Pubertätsstadium, Alter und Geschlecht

P Baum 1, D Petroff 1, J Classen 1, W Kiess 2, S Blüher 1
  • 1Universität Leipzig, Leipzig, Germany
  • 2Universität Leipzig, Dept. für Frauen- und Kindermedizin, Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Germany

Einleitung: Adipositas ist mit einer Dysfunktion des autonomen Nervensystems (ANS) assoziiert. Daten für das Kindesalter existieren bisher hauptsächlich für die Herzfrequenzvariabilität. Die sympathische/parasympathische ANS-Funktion wurde mit validierten Methoden an einem Kollektiv normalgewichtiger und adipöser Kinder ohne Hinweis auf Begleiterkrankungen und ohne Co-Medikation untersucht.

Methoden: Es wurden 149 Kinder (mittleres Alter 12,0 Jahre) untersucht. Davon waren 90 übergewichtig/adipös (BMI> 90. Perzentile; 45 Jungen) und 59 normalgewichtig (BMI 10 – 90. Perzentile; 34 Jungen). Eine gestörte Glukosetoleranz wurde bei den adipösen Teilnehmern durch einen oralen Glukosetoleranztest ausgeschlossen. Drei Messungen zur Bestimmung der ANS-Funktion wurden durchgeführt: 1) Herzfrequenzvariabilität in Ruhe (Spektralanalyse im hohen [HF]/niederen Frequenzband [LF], LF/HF-Quotient;) und bei tiefer Respiration (Quotient aus dem längsten RR-Intervalls während der Expiration und dem kürzesten Intervall während der Inspiration, E/I-Quotient); 2) sympathischer Hautreflex (SSR): obere und untere Extremität (Latenz); 3) quantitative Pupillografie: Pupillendurchmesser in Dunkelheit (PDD) und nach Lichtstimulation, Konstriktionslatenz, -amplitude, -geschwindigkeit, Redilatationsgeschwindigkeit. In einem linearen Modell mit Alter, Geschlecht, Pubertätsstadium als Co-Variablen wurde eine potentielle Abhängigkeit aller Parameter vom BMI-SDS untersucht. Weiterhin erfolgten Gruppenvergleiche zwischen der normalgewichtigen und der adipösen Gruppe. Für Parameter, die eine Abhängigkeit vom BMI-SDS zeigten, wurde die Abhängigkeit von einer bestehenden Insulinresistenz (erfasst durch den HOMA-IR) analysiert. Die statistische Signifikanz wurde mit 5% angegeben.

Ergebnisse: Die E/I-Ratio (p = 0,003) und die ln(HF) (p = 0,03) waren negativ mit dem BMI-SDS assoziiert, was auf eine gestörte parasympathische Aktivität mit steigendem BMI-SDS hinweist. Eine negative Assoziation bestand ebenfalls zwischen dem BMI-SDS und der PDD (p = 0,01) sowie im Trend der Redilatationsgeschwindigkeit (p = 0,08), was auf eine gestörte sympathische Aktivität mit steigendem BMI-SDS hinweist. Keiner der untersuchten Parameter zeigte eine signifikante Abhängigkeit vom Pubertätsstadium, und keiner der Parameter, die signifikant mit dem BMI-SDS assoziiert waren, zeigte eine signifikante Korrelation mit dem HOMA-IR.

Schlussfolgerung: Bereits im Kindesalter weist eine verminderte parasympathische und sympathische Aktivität mit steigendem BMI-SDS auf eine organübergreifende autonome Störung hin, die trotz Ausschluss einer Glukosetoleranzstörung besteht. Das Störungsmuster scheint dem einer längenabhängigen autonomen Neuropathie zu entsprechen, da die längeren sympathischen Nervenfasern am Auge und die längeren parasympathischen Nervenfasern am Herzen betroffen sind. Weiterführende longitudinale Untersuchungen sollen überprüfen, ob die gestörte autonome Nervenfunktion durch eine BMI-Reduktion reversibel ist.