Diabetologie und Stoffwechsel 2013; 8 - FV77
DOI: 10.1055/s-0033-1341737

Empirische Ermittlung der Kohlenhydratmenge, die Hypoglykämien bei einstündiger körperlicher Aktivität mittlerer Intensität bei Patienten mit Typ 1-Diabetes vorbeugen kann

H Frenzke 1, A Varnhorn 1, H Schulze 1, MA Nauck 1
  • 1Diabeteszentrum, Bad Lauterberg, Germany

Einleitung/Fragestellung: Patienten mit Typ 1-Diabetes unter intensivierter Insulintherapie neigen während körperlicher Aktivität zu Hypoglykämien und müssen regelhaft durch zusätzlich verabreichte Kohlenhydrate oder Reduktion des Insulins vorbeugen. Über die Menge von Kohlenhydraten, die notwendig ist, die Hypoglykämieneigung bei körperlicher Aktivität zu kompensieren, gibt es nur wenige verlässliche wissenschaftliche Daten. Wir wollten diese Frage mit einer prospektiven klinischen Untersuchung klären, bei der Patienten mit Typ 1-Diabetes in einem „Crossover-Design“ verschiedene Kohlenhydratgaben bei einer standardisierten körperlichen Aktivität testen sollten.

Patienten und Methoden: 24 Patienten mit Typ 1-Diabetes (Alter 41 ± 12 Jahre; 11 Frauen, 13 Männer; Body-Mass-Index 26,5 ± 4,7 kg/m2; Diabetesdauer 16 ± 11 Jahre; HbA1c 9,1 ± 1,5%; Insulindosierung 0,64 ± 0,22 IE/kg KG und Tag; 1,7 ± 1,5 symptomatische Hypoglykämien/Woche; selbst-berichtete Hypoglykämie-Wahrnehmungsschwelle 60 ± 15 mg/dl) nahmen nach Aufklärung und schriftlicher Zustimmung teil. In randomisierter Reihenfolge nahmen sie an einem Tag ohne körperliche Aktivität und an drei Tagen mit einer ca. einstündigen Wanderung nachmittags ab 14 Uhr ohne Zusatz-KH (0 KE) oder mit je 10 g (2 KE) bzw. je 20 g (4 KE) Kohlenhydraten (Müsliriegel) am Beginn und 30 min später teil. Die Blutzucker wurden um 14:00, 14:30, 15:00, 18:00 und 20:00 Uhr nass-chemisch gemessen und Hypoglykämie-Episoden sowie Hypoglykämie-induzierte zusätzliche Kohlenhydratgaben im Zeitraum 14 – 18 Uhr (d.h. während und nach der körperlichen Aktivität) erfasst. Statistik: ANOVA für Messwiederholungen.

Ergebnisse: An allen Tagen mit körperlicher Aktivität fiel der Blutzucker in der Zeit von 14:00 Uhr (ca. 175 mg/dl 1 – 2h nach dem Mittagessen) bis 14:30 Uhr (ca. 100 – 110 mg/dl) deutlich und gleichermaßen ab. Erst danach stieg der Blutzucker bei Zusatz-KH-Gabe schneller wieder an (p = 0,0036 bei 4 KE). Bei vorbeugender KH-Gabe mussten signifikant weniger Zusatz-KH bei Hypoglykämien verabreicht werden (2 KE: p = 0,017; 4 KE: p = 0,015). Während und nach der körperlichen Aktivität wurden die meisten Hypoglykämien nicht subjektiv bemerkt, sondern durch engmaschige Blutzuckerkontrollen festgestellt.

Schlussfolgerungen: Die Kohlenhydratmengen, die im Rahmen unserer prospektiven Studie zur Kompensation einer Hypoglykämieneigung eingesetzt wurden, erwiesen sich als zu gering und setzten in ihrer Wirkung zu spät ein. Zur Verhinderung von Hypoglykämien während einer körperlichen Aktivität mittlerer Intensität und einstündiger Dauer sind offensichtlich im Mittel mehr als 40 g Kohlenhydrate notwendig. Insbesondere bei Beginn der Aktivität (und vielleicht bereits davor) sollten rasch resorbierbare Kohlenhydrate empfohlen werden, um den initialen Blutzuckerabfall zu verhindern.