Diabetologie und Stoffwechsel 2013; 8 - FV47
DOI: 10.1055/s-0033-1341707

Klinische Charakteristika schwerer Hypoglykämien unter Insulin Glargin versus NPH-Insulin

A Holstein 1, O Patzer 1, JD Holstein 2, P Kovacs 2
  • 1Klinikum Lippe-Detmold, Detmold, Germany
  • 2Universität Leipzig, Leipzig, Germany

Fragestellung: Seit seiner Zulassung im Jahr 2000 hat sich Insulin Glargin zum weltweit am häufigsten verwandten Basalinsulin entwickelt. Übereinstimmend zeigten Hersteller-gesponsorte randomisierte Studien und ihre Metaanalysen bei vergleichbarer glykämischer Kontrolle ein geringeres Hypoglykämie-Risiko für Glargin versus NPH-Insulin, insbesondere nächtlich. Dennoch gibt es bis dato keine Untersuchungen, die die klinischen Charakteristika von schweren Hypoglykämien (SH) bei Patienten mit T1DM und T2DM unter Glargin versus NPH unter realen Bedingungen darstellen.

Methoden: Im Zeitraum 2007 – 2012 wurden prospektiv für eine ostwestfälische Region mit ca. 200.000 Einwohnern detailliert die klinischen Charakteristika von SH registriert, die eine notärztliche Therapie bzw. stationäre Krankenhausbehandlung erforderten. SH waren durch eine neuroglukopenische Symptomatik, eine initiale Blutglukose von < 50 mg/dl und die Notwendigkeit der i.v. Glukose- oder Glukagon-Gabe definiert. Es wurden umfangreiche Patientencharakteristika (u.a. HbA1c, initiale Blutglukose, Uhrzeit der Hypoglykämie, Diabetesdauer, Komorbiditäten, Komedikation) von hypoglykämischen Diabetikern unter Glargin versus NPH verglichen.

Ergebnisse: Im sechsjährigen Untersuchungszeitraum wurden bei 606 Patienten insgesamt 818 Ereignisse von SH registriert (59 [7,2%] Spontanhypoglykämien; 305 SH [37,2%] bei T1DM und 430 SH [52,6%] bei T2DM sowie 26 SH [3,2%] bei pankreoprivem Diabetes). 122 Patienten erlitten mehrfach SH, davon 14,6% aller mit T1DM und 9% mit T2DM > 3 Episoden. Unter 150 SH bei Glargin-behandelten T1DM- Patienten (ICT) traten diese Ereignisse in 19,3% während der Nachtperiode zwischen 0:00 – 6:00 auf, unter NPH (n = 64) in 26,6% sowie unter CSII (n = 43) in 23,3% (jeweils p > 0,05). Dabei waren die Merkmale Diabetesdauer, HbA1c, initiale Blutglukose, BMI, Komorbidität, Komedikation und Tagesdosis Basalinsulin zwischen den T1DM-Gruppen weitgehend vergleichbar. 430 SH bei T2DM verteilten sich auf folgende Therapien: 35% Insulin-CT, 29% Insulin-ICT, 25,5% Sulfonylharnstoff und 6,5% Insulin+Sulfonylharnstoff. Insulin-behandelte Patienten mit T2DM waren folgendermaßen charakterisiert: initiale Blutglukose 33,2 ± 13 mg/dl; Alter 72,4 ± 10,2 Jahre; Diabetesdauer 18,7 ± 8,6 Jahre; HbA1c 6,9 ± 1,4%; Komorbidität 5 ± 2 Erkrankungen; Komedikation 8 ± 4 Präparate. Wiederum zeigten sich nächtliche SH (0:00 – 6:00) unter Glargin-Behandelten (n = 69) seltener als unter NPH (n = 54) (27,5% versus 31,5%; p > 0,05).

Schlussfolgerungen: Konträr zu randomisierten Studien mit Einschluss von jüngeren, relativ gesunden Patienten mit geringer a priori-Wahrscheinlichkeit für SH waren unter realen Bedingungen Patienten mit T2DM und SH unter Glargin und NPH durch eine geriatrische Multimorbidität gekennzeichnet. Bei Patienten mit T1DM und T2DM häuften sich SH in der vulnerablen Nachtphase unter NPH stärker als unter Glargin. Die große Gruppe von Patienten mit rekurrenten SH erfordert besondere Betreuungskonzepte.