Diabetologie und Stoffwechsel 2013; 8 - FV45
DOI: 10.1055/s-0033-1341705

Unterschätzte Hypo- und Hyperglykämie bei Patienten mit Verdacht auf Dumping-Syndrom nach Magen-Bypaß (RYGB). Erste Daten mit kontinuierlicher Gewebeglukosemessung (CGM)

D Wagenknecht 1, E Fischer 1, K Krieger 1, E Weitz 1, R Chandra 1, C Stier 1, K Rett 1
  • 1Krankenhaus Sachsenhausen, Frankfurt, Germany

Fragestellung: Bei fettleibigen Patienten mit Typ-2-Diabetes kommt es nach Magen-Bypaß-Operationen (RYGB) in einem hohen Prozentsatz zu einer zumindest vorübergehenden Diabetes-Regression. Die Hypoglykämie-Prävalenz nach RYGB ist weitgehend unbekannt. Retrospektive Daten zu fremdhilfebedürftigen Hypoglykämien aus der SOS-Studie dürften die wahre Prävalenz erheblich unterschätzen. Ergebnisse aus oralen Glukosetoleranztests sind nach RYGB aus anatomischen Gründen in Frage zu stellen. Ziel der Untersuchung war es, bei RYGB-Patienten, bei denen klinisch der Verdacht auf ein Dumping-Syndrom bestand, unter Alltagsbedingungen kontinuierlich die Gewebeglukose (CGM) zu messen sowie simultan Nahrungszufuhr und Hypoglykämiesymptome zu erfassen.

Methodik: Bei 25 Patienten (20♀, 5♂; mittleres Alter 42 Jahre), mit Adipositas und Typ-2-Diabetes (BMI prä-OP 47,2 ± 1,6 kg/m2, bekannte Diabetesdauer 9 Jahre, HbA1c prä-OP 6,5 ± 0,4%) erfolgte 6 – 14 Monate nach RYGB eine kontinuierliche Messung der interstitiellen Glukose (IG; Dexcom seven, untere Alarmgrenze: 70 mg/dl, mittlere Messdauer 5,5 Tage; Berechnung der IG-Variabilität: EasyGV). Gleichzeitig führten die Patienten ein Ernährungs- und Bewegungsprotokoll und erfassten autonome und neuroglukopenische Hypoglykämie-Symptome nach der semiquantitativen Edinburgh Hypoglycemia Scale.

Ergebnisse: Im Rahmen der erfolgten Gewichtsabnahme (BMI post-OP 35,5 ± 3,0 kg/m2) hatten die meisten Patienten ihre antidiabetische Therapie reduziert bzw. abgesetzt. Der mittlere HbA1c Wert lag bei 5,8 ± 0,4%. Bei einer medianen IG von 107 mg/dl, wurden 25 (96%) der Patienten unter CGM mindestens einmal wegen einer IG < 70 mg/dl vom System alarmiert. Das charakteristische CGM-Muster nach RYGB bestand in steilen prandialen Glukosespitzen mit ausgeprägter Nachschwankung bis in den hypoglykämischen Bereich und einer hohen Glukosevariabilität [MAG 3,1 ± 0,2 mmol/l/h (mean absolute glucose; Normbereich 0,5 – 2,2)]. Hypoglykämie-Symptome waren individuell unterschiedlich, diagnostisch nicht hilfreich und traten ausnahmslos erst nach dem Sensoralarm auf. Überraschender Weise war die pro Tag in der Hyperglykämie (134 ± 68 min IG > 180 mg/dl) und in der Hypoglykämie (133 ± 44 min IG < 70 mg/dl) verbrachte Zeit praktisch gleich (9,3 bzw. 9,2% der Gesamt-Tageszeit).

Schlussfolgerungen: Mittels CGM sind hypo- und hyperglykämische Exkursionen wesentlich häufiger detektierbar, als vermutet und als subjektiv wahrnehmbar. So hatten 96% der RYGB-Patienten überwiegend reaktive hypoglykämische IG-Werte sowie prandiale Glukosespitzen bei insgesamt hoher Glukosevariabilität. RYGB Patienten liegen mit ihrer IG jeweils knapp 10% des Tages oberhalb der Nierenschwelle und unterhalb der Neuroglukopenieschwelle, was weitreichende diagnostische und therapeutische Konsequenzen hat. Die verbreitete BMI-, Nüchternglukose- und HbA1c-zentrierte Betrachtung von Typ-2-Diabetikern nach RYGB wird der komplexen postoperativen Stoffwechselsituation dieser Patienten offenbar nicht gerecht.