Gesundheitswesen 2013; 75 - P22
DOI: 10.1055/s-0033-1337554

Weniger Tuberkulosefälle als erwartet unter Asylbewerbern in BW von 2002 bis 2011

B Joggerst 1, J Käßmann 2
  • 1Gesundheitsamt am LRA Karlsruhe und weiter Mitarbeiter des Gesundheitsamtes Karlsruhe, Amtsärztlicher Dienst und GBE, Karlsruhe
  • 2Landratsamt Karlsruhe, Dezernat IV, Gesundheitsamt, Karlsruhe

Untersuchung:

In Karlsruhe liegt die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber des Landes Baden-Württemberg (LASt). Die Untersuchungen der Asylbewerber auf Tuberkulose und andere ansteckende Krankheiten nach §62 Asylverfahrensgesetz und §36 Infektionsschutzgesetz werden durch das Gesundheitsamt Karlsruhe durchgeführt. Dabei wird für Asylsuchende ab dem Alter von 16 Jahren ein Röntgen-Thorax durchgeführt. Dem Gesundheitsamt liegen aus diesen Untersuchungen Daten seit 2002 vor. In die aktuelle Auswertung eingegangen sind Daten von 2002 bis 2011. Sie enthalten Informationen über Herkunftsland, Geschlecht, Alter und das Ergebnis der Untersuchung auf aktive Tuberkulose. In diesem Zeitraum wurden 29.101 Asylbewerber aufgenommen und untersucht. Die meisten Asylbewerber stammen aus Irak, dem ehemaligen Jugoslawien bzw. Serbien, Türkei, Pakistan und Iran.

Ergebnis:

Insgesamt konnte in 21 Fällen eine Tuberkulose bestätigt werden. Das entspricht einer durchschnittlichen Fallzahl von 2,1 Fällen pro Jahr und einer Prävalenz von 72 Fällen pro 100.000 Asylbewerber und liegt damit über 10-fach höher als die aktuelle Prävalenz in Deutschland mit 5,7. Andererseits wären bei Zugrundelegung der von der WHO veröffentlichten Prävalenzen für 2011 für die einzelnen Herkunftsländer, aus denen mehr als 500 Asylbewerber nach Karlsruhe kamen, deutlich mehr Fälle zu erwarten gewesen: insgesamt 37,3.

Weniger Fälle als erwartet kamen vor allem aus Pakistan (3 anstatt 5,5), Afghanistan (0 anstatt 4,8), Irak (0 anstatt 3,5) und Liberia (0 anstatt 3,5). Mehr Fälle als erwartet kamen aus der Türkei (2 anstatt 0,7) und dem ehemaligen Jugoslawien (3 anstatt 1,4). Der jüngste Asylbewerber, bei dem in Karlsruhe eine Tuberkulose festgestellt wurde, war 16 Jahre alt, der älteste 56. Die alterspezifischen Prävalenzen über alle Herkunftsnationen hinweg waren mit 177 Fällen pro 100.000 für die 50 bis 59-jährigen am höchsten, gefolgt von 102 Fällen pro 100.000 bei den 20 bis 29-jährigen. Die niedrigste Prävalenz fand sich mit 0 Fällen pro 100.000 bei den unter 10-jährigen und mit 19 Fällen pro 100.000 bei den 10 bis 19-jährigen.

Diskussion:

Ein Grund für die deutlich niedrigere Zahl an Tuberkulosen in der LAST kann der so genannte Healthy-Migrant-Effekt sein. Dieser besagt, dass Migranten aus fernen Ländern, vor allem wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen auswandern, dies nur tun, wenn sie sich gesund fühlen. Oft werden sie von der Familie ausgewählt und finanziell bei der Auswanderung unterstützt in der Vorstellung, dass sie später die zurück gebliebene Familie im Heimatland alimentieren.

Offen bleibt, warum Asylsuchende aus der Türkei und Ländern des ehemaligen Jugoslawien häufiger eine Tuberkulose haben, als anhand der Prävalenzen in den Herkunftsländern zu erwarten gewesen wäre. Eine mögliche Erklärung wäre, dass diese Migranten durch etablierte Reiserouten und mit kleinerem finanziellem Aufwand es sich leisten können im ganzen Familienverband zu kommen oder kränker auf die Flucht zu gehen. Auch die Hoffnung auf eine bessere und kostenlose medizinische Versorgung könnte ursächlich sein.

Die Daten zeigen, dass in einem Zeitraum von 10 Jahren kein Asylsuchender mit Tuberkulose jünger als 16 Jahre alt war. Dies hat in Karlsruhe dazu geführt, seit 01.01.2012 Asylsuchende dieser Altersgruppe nicht mehr routinemäßig mit einem Intrakutantest zu testen.