Gesundheitswesen 2013; 75 - P9
DOI: 10.1055/s-0033-1337541

Stark für die Schwachen – zur Bedeutung der Sozialen Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst

E Hungerland 1
  • 1Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart

„Die Sozialarbeit muss verstärkt zeigen, dass ihre Leistungen wirtschaftlich bedeutsam sind ..., aber auch, dass sie durch ihre Arbeit an der Verbesserung der Lebensqualität mitwirkt.“ (Reinicke, 2008). Mit dieser Aussage thematisiert Peter Reinicke die einerseits oft noch gering geschätzte Bedeutung der Sozialen Arbeit, andererseits ihre besonderen Kompetenzen. Wie verhält es sich mit der Sozialen Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)? Im Beitrag erfolgt eine Positionierung u.a. aufgrund der Literatursichtung zum Thema. Die Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) sind föderal in den jeweiligen Gesundheitsdienstgesetzen (GDGs) der Bundesländer geregelt. Nach Kuhn et al. lassen sich hiernach trotz der 16 verschiedenen Rechtsgrundlagen Kernbestände an Aufgaben des ÖGD ausmachen: Gesundheitsschutz, Prävention, Fürsorge, Aufklärung, Steuerung, Quali-tätssicherung, Kommunikation, u.a. (vgl. Kuhn, et al. 2012). Die Soziale Arbeit wird in den GDGs nicht eigenständig als Berufsgruppe ausgewiesen. Verschiedene Handlungsfelder und Kompetenzen entsprechen jedoch den in den Gesetzen dargestellten und von Kuhn genannten Aufgabenbereichen und Zielsetzungen (vgl. auch Ortmann/Waller, 2005).

Die Handlungsfelder im ÖGD gehören nach Reinicke mit zu den ältesten der Sozialen Arbeit (vgl. Reinicke, 2005). „In der Alltagsarbeit [der Sozialen Arbeit] im ÖGD wird der Zusammen-hang von Armut, gesundheitsgefährdenden Wohn- und Lebensbedingungen, familiär und bildungsbedingten Sozialisationsdefiziten besonders greifbar“ (Chassé/von Wensierski, 2002). Durch Darlegung des Zusammenhangs von sozialer Lage (insbesondere Armut, Hunger) und Krankheit hat bereits Rudolf Virchow die Grundlage für die Soziale Arbeit im Gesundheitswesen gelegt (vgl. Rosenbrock/Kümpers, 2006). Die Verbindung gesundheitlicher Parameter und sozialstruktureller Dimensionen zeichnet heute ÖGD und Soziale Arbeit aus. Während mit den Gesundheitswissenschaften/Public Health ein Paradigmenwechsel von der Patho- hin zur Salutogenese vollzogen wurde und seit den 1980er Jahren in Deutschland bevölkerungsmedizinische Ansätze eingeführt werden konnten, sich in der Sozialen Arbeit eine Orientierung weg von den Defiziten hin zu den Ressourcen sowie der Gesundheitsförderung in Netzwerken und Settings etablierte (vgl. Steen, 2005), tut sich der ÖGD bis heute schwer, die tatsächliche Bedeutung der Public Health Perspektive wahrzunehmen. Entspre-chend gibt es in Deutschland wenige Ämter im ÖGD, die diese Kompetenzen der Sozialen Arbeit interdisziplinär innerhalb ihres Gesundheitsamtes integrieren bzw. Gesundheitsförde-rung als Kernaufgabe mit der Profession der Sozialen Arbeit im ÖGD umsetzen. Gesundheitsförderung im Kontext „Stark für die Schwachen“ im Sinne der Ottawa-Charta von 1986 bedeutet z.B. die Erhebung, Planung und Etablierung gesundheitsförderlicher Maßnahmen sozialräumlich bestimmter Lebenswelten (vgl. Franzkowiak et al., 2012; Kaba-Schönstein, 2011). In der Regel agieren SozialarbeiterInnen in AIDS-Beratung, sozialpsychiatrischen Diensten, Suchtberatungsstellen u.a. in vom ÖGD unabhängigen Einrichtungen. Hierin kommen sie ihrer traditionellen Aufgabe, Menschen, die sich in schwierigen Lebenszusammenhängen befinden, zu helfen und „Mitglieder an den Rändern der Gesellschaft zu integrieren“ (Lützenkirchen, 2008) zwar fach- und sachgerecht nach. „Stark für die Schwachen“ als Leitmotiv eines zeitgemäßen ÖGD erfordert, dass Gesundheitsförderung nicht zur bloßen Dienstleistung der Sozialen Arbeit degradiert wird. Zielführend ist vielmehr dessen Interpreta-tion als eines gemeinsamen Gesundheits- und Sozialbereichs interdisziplinäre, kompetenz-stärkende Strategie für alle zu begreifen. Dies ist für die Herstellung von gesundheitlicher Chancengleichheit unerlässlich und dies gilt es auch angesichts der Knappheit der finanziel-len Mittel zu verdeutlichen.

Literatur: [1] Chassé, Karl August; von Wensierski, Hans Jürgen: Praxisfelder Sozialen Arbeit. Juventa. 2002. [2] Franzkowiak, Peter; Homfeldt, Hans Günther; Mühlum, Albert: Lehrbuch Gesundheit. Juventa. 2012. [3] Kaba-Schönstein, Lotte: Gesundheitsförderung I. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Auf-klärung (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Köln. 2011. [4] Kuhn, Joseph, Wildner, Manfred, Zapf, Andreas: Der öffentliche Gesundheitsdienst – Standortbestimmung mit hoffnungsvollem Ausblick. Dtsch Ärztebl 2012; 109(9): A 413 – 6. [5] Lützenkirchen, Anne: Soziale Arbeit im Gesundheitswesen. Kohlhammer. 2005. [6] Ortmann, Karlheinz; Waller, Heiko (Hrsg.): Gesundheitsbezogene Sozialarbeit. Schneider. 2005. [7] Reinicke, Peter: Sozialarbeit im Öffentlichen Gesundheitswesen. In: Ortmann/Waller: Ge-sundheitsbezogene Sozialarbeit. Schneider. 2005. [8] Reinicke, Peter: Sozialarbeit im Gesundheitswesen. Eigenverlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. 2008. [9] Rosenbrock, Rolf; Kümpers, Susanne: Zur Entwicklung von Konzepten und Methoden der Prävention. In: Der Psychotherapeut 2006, 51:412 – 420. [10] Steen, Rainer: Soziale Arbeit im öffentlichen Gesundheitsdienst. Reinhardt/UTB. 2005