Gesundheitswesen 2013; 75 - A5
DOI: 10.1055/s-0033-1337451

Der öffentliche Gesundheitsdienst im Nationalsozialismus. „Erb- und Rassenpflege“ im Gesundheitsamt: Unterstützung und Ausgrenzung

J Donhauser 1
  • 1Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen, Gesundheitsamt, Neuburg a. d. Donau

Einleitung/Hintergrund:

Der Vortrag beleuchtet die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes bei der Umsetzungder rassistischen NS-Bevölkerungspolitik. So waren die pronatalistischen Leistungen desStaates (vor allem Ehestandsdarlehen, Kinderbeihilfen, „Ehrenbuch der deutschenkinderreichen Familie“, „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“) der sozialrassistischen Selektionunterworfen. Finanziell fördernde bzw. allgemein ehrende Maßnahmen verband der NSStaatmit arischer Abstammung, „Erbgesundheit“, politischer Zuverlässigkeit und gutemLeumund. Als „minderwertig“ erachtete Personengruppen waren von diesen Leistungenausgenommen und als Folge der mit ihren Anträgen verbundenen gesundheitlichen Überprüfungen von der Zwangssterilisation bedroht. Dies soll hier am Beispiel derVorgehensweise der beiden Amtsärzte an den damaligen benachbarten staatlichenGesundheitsämtern Neuburg a.d. Donau und Pfaffenhofen zwischen 1933 und 1945dargestellt werden.

Material und Methoden:

Der Vortrag basiert auf anonymisierten Dokumenten und deren teilweiser statistischerAuswertung aus den bayerischen Staatsarchiven Augsburg und München.

Ergebnisse:

Das Grundprinzip des NS-Staates war die Ungleichwertigkeit der Menschen. Unterstützungsleistungen, wie Ehestandsdarlehen, Kinder- und Ausbildungsbeihilfengewährte der NS-Staat nur, wenn das Gesundheitsamt zuvor die „Tauglichkeit“ bestätigte. Die Antragsteller für diese Vergünstigungen liefen deshalb ständig Gefahr von denAmtsärzten als „erbkrank“ kategorisiert und damit auch Opfer der antinatalistischenMaßnahmen Zwangssterilisation und/oder Eheverbot zu werden, wie Einzelfälle eindrücklichbelegen. Es wurden sämtliche Sippenakten der ehemaligen Gesundheitsämter Neuburg a. d. Donauund Pfaffenhofen ausgewertet hinsichtlich möglicherweise erkennbar ausgenutzter Ermessensspielräume der damals verantwortlichen Amtsärzte. Der Neuburger Amtsarztscheint besonders streng im Vollzug des Ehegesundheitsgesetzes und deutlich großzügigerbei der Gewährung von Ausbildungsbeihilfen geurteilt zu haben, da er bei letzteren wohlnicht unmittelbar generatives Verhalten beeinflussen wollte.