intensiv 2013; 21(02): 58
DOI: 10.1055/s-0033-1337355
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tapetenwechsel

Heidi Günther
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Publication Date:
07 March 2013 (online)

„Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten.“ (Thomas von Aquin)

Ich habe meine Wohnung renoviert. Es musste einfach sein. Veränderung musste her. Also habe ich ein bisschen Geld in die Hand genommen – wobei ein „bisschen“ leicht untertrieben ist, denn sowohl Farbe als auch Tapete haben ein kleines Vermögen gekostet und der Kleinkram aus dem Baumarkt wurde von mir völlig unterschätzt. Dazu habe ich meinen Sohn und Freunde mobilisiert. Und, siehe da! Nach nur zweieinhalb Tagen, einem Kasten Bier und diversen Flaschen Prosecco ist alles wie neu und völlig verändert. Meine Freude hält immer noch an und ich fühle mich sehr wohl in meiner „neuen“ Wohnung.

Jetzt ist das ja so eine Sache mit den Veränderungen – unser ganzes Leben wird davon geprägt und beeinflusst. Laut Wikipedia heißt Veränderung u. a. „Änderung, Abwandlung, Korrektur, Überarbeitung, Umänderung, Umarbeitung, Umbildung, Umformung, Umgestaltung.“ Meist ist das auch gut so. Keine Veränderungen hieße Stillstand und Langeweile. Im Großen wie im Kleinen. Mit oder ohne unser Zutun.

Beispiel: Ich arbeite ja in der septischen Abteilung unseres Hauses. Da ist moderne Wundversorgung das A und O. Doch wo wären wir ohne Veränderungen? Noch heute würden wir Blätter, Harze und Rinde auf die Wunden legen und als Verbandsmaterial Leinentücher, die mit Ölen und Honig getränkt sind, verwenden. Den guten alten Honig nutzen wir immer noch. Ansonsten lobe ich mir schon die modernen Möglichkeiten und Materialien, die wir heute anwenden.

Oder: Das Ende der Praxisgebühr. Veränderung auf „ganz hohem Niveau“. Eingeführt 2004, nie verstanden und immer umstritten. Nun ist sie wieder abgeschafft und das ist auch gut so. Dafür kommt ja nun das Betreuungsgeld. Ich gehe aber davon aus, dass ich davon nicht mehr partizipieren werde. Obwohl ich eine Mutter bin und mein Sohn auch heute manches Mal noch meiner Betreuung bedarf.

Veränderungen bringen neue Dinge in unser Leben, mit denen umzugehen wir erst noch lernen müssen. Mit dem Vertrauten kennen wir uns aus, wir haben uns eingerichtet. Es ist bequem. Aber ehrlich, wer will schon immer auf der Stelle treten? Und selbst, wenn ich kein Freund von Umgestaltung und Änderungen wäre, was bliebe mir denn anderes übrig? Ständig verändert sich irgendetwas um uns herum. Und ich selbst? Auch wenn ich immer gern behaupte, ich wäre ganz die Alte, habe ich mich in den letzten Jahren weiterentwickelt, nach- und mitgedacht, habe Ideen gehabt, umgesetzt oder auch wieder verworfen. Ich musste mich auf neue Situationen einlassen und so manches Mal meine Komfortzone verlassen. Gerade in meiner Position als Stationsleitung werde ich immer wieder mit Veränderungen konfrontiert oder aber ich muss den Kollegen welche schmackhaft machen. Ich muss mich mit neuen Kollegen, neuen Arbeitsmethoden, neuen Anforderungen meiner Vorgesetzten an mich und mit ständig wechselnden Patienten auseinandersetzen. Aber wenn ich das erst einmal geschafft oder bestimmte Maßnahmen und Projekte umgesetzt habe, erweisen sie sich für mich und bestenfalls auch für meine Kollegen und die Patienten als eine Chance zur Verbesserung der bestehenden Situation.

Übrigens hat Veränderung (s. Definition Wikipedia) auch schon sehr viel Nachhaltiges gebracht. Wo (und vor allen Dingen wie!) wäre ich, wenn nicht 1888 ein deutscher Chemiker das erste Haarfärbemittel als Patent angemeldet hätte und von da an ständig an Veränderungen und Korrekturen gearbeitet worden wäre?

Wovon ich allerdings nichts halte, sind Veränderungen, die nur dazu dienen, Aktionismus oder Macht zu demonstrieren und sich durchsetzen zu wollen. Veränderungen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, ohne Sinn und ohne Verbesserungspotenzial zur aktuellen Situation. Das kostet nur Kraft und Nerven und zum Schluss verändere ich mich dann wieder.

Ihre Heidi Günther