Klinische Neurophysiologie 2013; 44 - P170
DOI: 10.1055/s-0033-1337311

Neurolinguistische Aspekte der Temporallappenepilepsie

K Nahrmann 1, H Müller 1
  • 1Universität Bielefeld, AG Experimentelle Neurolinguistik, Bielefeld, Deutschland

Die Temporallappenepilepsie (TLE) macht etwa ein Drittel aller Epilepsien aus, repräsentiert die häufigste Form von fokalen Epilepsien im Erwachsenenalter, geht oft mit neuropsychologischen Defiziten einher und ist besonders schwer medikamentös therapierbar [1]. Der Temporallappen umfasst mehrere kortikale Areale, die für Sprach- und Gedächtnisfunktionen von Bedeutung sind. Diese stehen in ständigem Austausch mit anderen, für Sprache relevanten Hirnstrukturen [2]. Sprachstörungen können bei Patienten mit einer TLE sowohl durch epileptische Anfälle als auch durch die mit der Epilepsie assoziierten Läsionen sowie durch die Folgen der Epilepsiechirurgie entstehen. Sprachliche Defizite bei Epilepsien werden in vielen Arbeiten thematisiert, die sich aber bis auf wenige Ausnahmen (z.B. [3]) nur auf eine sprachliche Funktionsstörung (z.B. Benennstörungen) beschränken. Im vorliegenden Beitrag sollen alle Sprachstörungen, die im Zusammenhang mit einer Temporallappenepilepsie auftreten können, hinsichtlich der sprachlichen Teilleistungen (Spontansprache, Sprachverständnis, Benennen, Nachsprechen, Lesen und Schreiben) aufgeführt werden, um das Ausmaß der sprachlichen Beeinträchtigungen zu verdeutlichen. Dazu wurden die Befunde mehrerer Einzelstudien zu unterschiedlichen Aspekten sprachlicher Teilleistungen zusammengefasst. Vor allem Störungen des basalen Temporallappens bewirken bei TLE-Patienten sprachliche Defizite, sowohl iktal, interiktal als auch postoperativ. Iktal zeigen Patienten häufig Beeinträchtigungen der Sprachproduktion, bei der Wortfindung, beim Sprachverständnis und bei der Schriftsprache [4]. Interiktal weisen vor allem Patienten mit einer linksseitigen TLE Defizite in der spontansprachlichen Leistung auf und zeigen bei Benenntests semantische Paraphrasien [4]. Postoperativ wurden am häufigsten Wortfindungsprobleme und Defizite in der visuellen Objektbenennung beobachtet [5]. Allerdings wurden bisher vorwiegend Sprachleistungen wie Benennen oder Wortflüssigkeit untersucht. Störungen dieser Teilleistungen häufen sich bei Patienten mit einer linksseitigen TLE, einem höheren Lebensalter sowie einem späten Operationsalter (Risikogruppe). Die hier zugrunde gelegten Studien zeigen den Bedarf umfassenderer Untersuchungen auf. So spielen basale temporale Sprachareale (z.B. Gyrus parahippocampalis, Gyrus fusiformis), obwohl sie nicht zu den klassischen Spracharealen (Broca, Wernicke) gehören, in der Erforschung von Sprachstörungen bei Epilepsiepatienten eine wichtige Rolle. Im Zusammenhang mit einem epilepsiechirurgischen Eingriff und interiktalen Sprachstörungen sollte den basalen temporalen Spracharealen sowie der Risikogruppe insgesamt größere Beachtung geschenkt werden.

Literatur:

1) Téllez-Zenteno, J.F. & Hernández-Ronquillo, L. (2012). Epilepsy Res. Treat., 630853.

2) Bähr, M., Frotscher, M. & Küker, W. (2003). Duus' Neurologisch-topische Diagnostik: Anatomie-Funktion-Klinik. Stuttgart: Thieme.

3) Bartha, L., Benke, T., Bauer, G. & Trinka, E. (2004). Epilepsie 4:24 – 25.

4) Bartha, L., Benke, T., Bauer, G. & Trinka, E. (2005). J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry 76,6:808 – 814.

5) Schwarz, M. Pauli, M. & Stefan, M. (2004). Epileptologie 21:77 – 81.